Citizen Science Projekte
Bürgerwissenschaften ermöglichen eine Teilhabe an aktueller Wissenschaft und stellt eine interessante Bereicherung für den Unterricht dar.
Durch die Nutzung von Smartphones und mobilem Internet ist es im Bereich der wissenschaftlichen Forschung in den letzten Jahren zu einer neuen Form der Datenerhebung sowie einer neuen Form der Kommunikation über wissenschaftliche Inhalte gekommen. Citizen Science Projekte haben dabei das Ziel gesellschaftliche Teilhabe in der Wissenschaft zu ermöglichen.
Dadurch können Laien unterstützt durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise bei der Erhebung von sehr großen Datenmengen in kurzer Zeit mithelfen. Die Geolokalisierung der erhobenen Daten und die Kombination mit Multimediainhalten wie Bild- und Tonaufnahmen erzeugen dabei eine wichtige Grundlage. Berühmt wurde diese Methode durch die aufsehenerregende Insektenstudie des Entomologenvereins Krefeld, welche den Einfluss von engagierten Bürgerdaten auf den politischen Diskurs eindrucksvoll zeigen.
Die Prinzipien der European Citizen Science Association (ECSA) geben einen guten Überblick darüber, was „Bürgerwissenschaften“ ausmacht:
Citizen Science Projekte binden Bürgerinnen und Bürger aktiv in wissenschaftliche Unternehmungen ein.
Citizen Science Projekte führen zu echten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Alle Teilnehmenden profitieren von der Teilnahme.
Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler können sich an verschiedenen Phasen im wissenschaftlichen Prozess beteiligen.
Teilnehmende bekommen eine Rückmeldung vom Projekt.
Citizen Science ist ein Forschungsansatz, der wie andere auch Limitationen und Vorannahmen hat, die berücksichtigt und kontrolliert werden müssen.
Daten und Metadaten werden öffentlich zugänglich gemacht und soweit möglich in einem Open-Access Format publiziert.
(Auswahl übernommen aus den 10 Prinzipien von Citizen Science der ECSA)
Vor allem auf Seiten der Laien erwarten sich laut einer Studie von Moczek & Köhler (2020) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein besseres Verständnis der wissenschaftlichen Arbeit und eine veränderte Akzeptanz der wissenschaftlichen Forschung.
Für den Unterricht können Citizen Science Projekte erste Anknüpfungspunkte bieten, um Forschungsarbeiten der Universitäten kennenzulernen. Lehrende können durch die Beteiligung ihren Schülerinnen und Schüler authentische Gesprächsanlässe über Wissenschaft ermöglichen. Dabei können Vorbehalte abgebaut, Fachwissen aufgebaut und naturwissenschaftliche Arbeitsweisen erlernt werden. Dies fördert insbesondere den Lernbereich 1 der naturwissenschaftlichen Lehrpläne. Besonders hervorzuheben sind dabei die Gewinnung von Daten und deren Veranschaulichung in mathematisierter Form, beispielsweise durch die Darstellung von Messwerten in Diagrammen.
Folgende Erkenntnisse konnten Teilnehmende an Citizen Science Projekten im Bereich „Nature of Science“ gewinnen:
Bedeutung wissenschaftlicher Diskurse wird verstanden
Naturwissenschaftliche Forschung funktioniert mit streng kontrollierten Verfahrensweisen
Wissenschaftlicher Fortschritt braucht Zeit
Misserfolge sind Teil des wissenschaftlichen Prozesses und können zu Verbesserungen beitragen
Diese Erkenntnisse zeigen, dass Citizen Science Potenzial besitzt, sowohl die Kommunikation als auch die Kollaboration verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen bezüglich wissenschaftlicher Forschung zu befördern.
Lorke (2021) beschreibt in einem Blogbeitrag, dass verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Zunahme von Fachwissen in mehreren Untersuchungen belegen. Neben dem Erwerbs prozessbezogener Kompetenzen ist das im Zusammenhang mit dem Unterricht ebenfalls ein wichtiger Aspekt für die Schule. Nach der Teilnahme an Citizen Science Projekten konnten Teilnehmende ihre Formulierung von Fragen und Antworten in dem jeweiligen Themenbereich verbessern. Sie konnten Diskussionen initiieren und effektiv mitdiskutieren sowie die Bedeutung von Daten besser einordnen.
Vor allem im Bereich der Kartierung von Arten in Biologie gibt es bereits seit einigen Jahren Projekte, die gezielt Schülerinnen und Schüler ansprechen, wie z. B. die Aktion „Stunde der Wintervögel“ des LBV. Ähnliche Projekte sind aber auch in anderen Fachbereichen zu finden. Im Astronomie-Projekt Galaxy Zoo helfen Projektteilnehmende bei der Klassifikation von Galaxien.
Im Folgenden werden einzelne Citizen Science Projekte beispielhaft vorgestellt.
Die Stunde der Wintervögel ist eine der wohl bekanntesten Mitmachaktionen, die auch an vielen Schulen Bayerns durchgeführt wird. In einem festgelegten Zeitraum von wenigen Tagen im Winter sind in der vom Landesbund für Vogelschutz initiierten Aktion alle interessierten Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, die Anzahl der Vogelarten im Garten über eine Stunde hinweg zu beobachten und zu melden. Die Aktion wird genauso wie die Stunde der Gartenvögel seit 2005 durchgeführt.
Das Projekt vernetzt 100 Bienenstöcke, die über Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland verteilt stehen. Sensoren messen bei allen Stöcken rund um die Uhr Gewicht, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und Feinstaub. Die Daten, die dabei gewonnen werden, können über die App oder die Projekt-Seite frei abgerufen werden und zu Forschungszwecken genutzt werden.
Hierbei handelt es sich um eine von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Ilmenau und des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie Jena entwickelte App, die Fotos von Pflanzen mittels Abgleich mit einer Bilddatenbank bestimmt. Die durch die Nutzenden generierten Daten werden zum weiteren Training der Datenbank genutzt und so die Trefferquote, die bereits bei 83,5 % liegt, erhöht. Die App ist damit sehr verlässlich zur schnellen Bestimmung von Pflanzen in Deutschland.
BirdNET ist das Pendant zu Flora Incognita zur Vogelbestimmung. Im Gegensatz zur Bildanalyse erfolgt bei dieser App, die von Wissenschaftlern der TU Chemnitz und dem Cornell Lab of Ornithology entwickelt wurde, die Analyse über die Audioaufnahme von Vogelgezwitscher. Die selbst erstellte Datenbank kann auch zum Training der Vogelstimmen genutzt werden und Beobachtungen werden geolokalisiert gespeichert. Dieser Datenschatz hilft Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern etwa Dialekte und Imitationen von Vogelarten besser zu erkennen und somit Rückschlüsse auf den Zugweg und die Vermischung von isolierten Populationen zu erhalten. Interessant ist hier auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz zum Erkennen von Mustern in den Sonagrammen.
Das Projekt trägt das Motto „Wissen vermitteln – Wahrnehmung fördern – Komplexität kommunizieren“. Das Portal bietet verschiedenen Zielgruppen die Möglichkeit bei der Generierung von Daten im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu unterstützen, wie etwa Pollenbelastung, Baumgrenzen und weitere Bioindikatoren. Durch die Möglichkeit eigene Beobachtungen beizusteuern, um den Klimawandel im eigenen Umfeld erlebbar zu machen, wird das Bewusstsein für die Veränderungen in der Natur geschärft.
Ziel dieses Projekts ist es morgendlichen Vogelgesang aufzunehmen und für zukünftige Kunst- und Wissenschaftsprojekte zur Verfügung zu stellen. Die so gewonnenen Daten werden wissenschaftlich genutzt, um mit Hilfe des Vogelgesangs die Biodiversität in unterschiedlichen Ökosystemen über viele Jahre hinweg zu dokumentieren.
Das Projekt LastQuake wurde von Seismologinnen und Seismologen entwickelt. Die Nutzerin oder Nutzer wird von der App über Erdbeben gewarnt und gleichzeitig kann er durch Multimediaaufnahmen und Erfahrungsberichte zum Citizen Science Projekt beitragen. Die Daten der Nutzerinnen und Nutzer dienen dazu, Folgen von Erdbeben besser abschätzen zu können. Im Unterricht können diese Daten selbstverständlich auch in Echtzeit genutzt werden und aktuelle Erdbeben und deren Auswirkungen verfolgt werden.
Bryce M., Hutfluss A., Gerl T.: Biologie macht SchulePLUS und BIOTOPIA Dawn Chorus -Ein Citizen Science & Arts-Projekt zum weltweiten Vogelgesang
Julia Lorke und Vincent Schmid-Loertzer: Wie wirkt eigentlich Citizen Science? - Was wissen wir über Lerneffekte durch Online-Citizen-Science? | Buerger schaffen Wissen
Nicole Moczek: Zusammen forschen: Wie gelingt das? | Buerger schaffen Wissen
Moczek, N. & Köhler, J.K. (2020). Zur Zusammenarbeit zwischen akademischen und ehrenamtlichen Wissenschaftler*innen im Citizen Science-Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“. Umweltpsychologie 24(2), 200-221.
Aristeidou, M, & Herodotou, C 2020. Online Citizen Science: A Systematic Review of Effects on Learning and Scientific Literacy. Citizen Science: Theory and Practice, 5(1), 11.
Bürgerwissenschaften ermöglichen eine Teilhabe an aktueller Wissenschaft und stellt eine interessante Bereicherung für den Unterricht dar.
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