Lehren und Lernen in sechs Schritten
Bei Cognitive Apprenticeship handelt es sich um ein wissenschaftlich erprobtes Modell des Instruktionsdesigns. Im Modell werden Schülerinnen und Schüler analog zum Erlernen eines Handwerksberufs begleitet. Das Ziel ist das zunehmend eigenständige Erwerben und Ausführen von Fertigkeiten.

- Auf welcher Theorie basiert Cognitive Apprenticeship? Grundlagen des Instruktionsdesigns
- In welche Phasen gliedert sich das Modell? Cognitive Apprenticeship - Prinzipien der Handwerkslehre im Unterricht
- Wie lässt sich das Modell in der 5. Klasse einsetzen? Praxisbeispiel: Die Roboter sind los
- Wie lässt sich das Modell in der Oberstufe einsetzen? Praxisbeispiel: Writing a film review
Grundlagen des Instruktionsdesigns
Bei der Gestaltung multimedialer Lernumgebungen ist eine Vielzahl didaktischer Entscheidungen zu treffen, die je nach Rahmenbedingungen und Lerninhalt unterschiedlich ausfallen können. Eine Grundlage für die Entwicklung multimedialer Lernumgebungen bildet das Instruktionsdesign, das seit Anfang der 1950er Jahre wissenschaftlich fundierte Aussagen zur effektiven Konzeption von Lernarrangements liefert. Instruktionsdesign (auch Instructional Design oder kurz ID) basiert auf pädagogisch-psychologischen Prinzipien, die systematisch und vor allem differenziert auf die jeweilige Lernumgebung angewendet werden. Unter „Instruktion“ ist „jedes systematische Arrangement von Umgebungsbedingungen, das geeignet ist, Kompetenzen zu fördern“ (Resnick, 1987, S. 51 zitiert nach Niegemann, 2008, S. 17) zu verstehen.
Die ersten Modelle des Instruktionsdesigns orientierten sich am Kognitivismus und waren stark instruktionalistisch, so dass häufig nur „träges Wissen“ erzeugt wurde. Dieses ist weder nachhaltig, noch ermöglicht es Transferleistungen und außerdem lässt es sich nicht ohne Weiteres auf die Lösung realistischer Probleme anwenden.
Als in den 1990er Jahren der Konstruktivismus als Leitgedanke Einzug erhält, werden neue Modelle des Instruktionsdesigns entwickelt, die das „situierte Lernen“ in den Mittelpunkt rücken und das Lernen an „möglichst authentischen Problemsituationen“ (Strittmatter, P. & Niegemann, H. (2000), S. 26) ermöglichen.
Vertiefende Informationen
Cognitive Apprenticeship - Prinzipien der Handwerkslehre im Unterricht
Analog zur Handwerkslehre geht das Modell der Cognitive Apprenticeship davon aus, dass der oder die Lernende („Lehrling“) nach anfänglicher starker Stützung durch die Expertin bzw. Experten, Lehrkraft oder Tutorin bzw. Tutor („Meister“) Schritt für Schritt in die eigene Selbstständigkeit entlassen wird. Zu Anfang soll das neue Wissen oder Verhalten erworben, dann aber zunehmend selbstgesteuert und selbstkontrolliert genutzt bzw. ausgeführt werden.
Das Modell der Cognitive Apprenticeship ist gekennzeichnet durch den Übergang von einer expositorischen zu einer explorativen Phase und eignet besonders für die Einführung in Lehrstoffe, bei denen kognitiv-prozedurales Lernen im Vordergrund steht.
Dabei erfolgt der Erwerb von Wissen und Fertigkeiten in sechs aufeinander folgenden Schritten:
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1 Modelling
Die Expertin bzw. der Experte führt eine komplexe Handlung, Wege zur Problemlösung oder Vorgehensweisen vor, indem er als Modell fungiert und dabei interne Prozesse und Strategien zur erfolgreichen Ausführung verbalisiert. Die oder der Lernende beobachtet und entwickelt ein eigenes konzeptuelles Modell vom präsentierten Vorgang.
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2 Coaching
Die Expertin bzw. der Experte betreut die Lernenden direkt und leistet Hilfestellung, gibt Rückmeldung und Tipps. Wenn nötig, werden einzelne Vorgehensweisen noch einmal wiederholt bzw. erneut vorgemacht. Die oder der Lernende führt die gezeigte Verhaltensweise selbst aus und erfährt dabei Unterstützung durch Betrachtungstechniken wie beispielsweise Videoaufzeichnungen, erhält Verbesserungsvorschläge und wird von der Expertin bzw. dem Experten korrigiert.
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3 Scaffolding · Fading
Die Expertin bzw. der Experte räumt der bzw. dem Lernenden immer mehr Selbstständigkeit ein, unterstützt nur noch wo unbedingt nötig, zieht sich Schritt für Schritt zurück (Fading). Die lernende Person übt weiter die neue Vorgehensweise ein und wird je nach Können und Wissensstand unterstützt.
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4 Articulation
Die Expertin bzw. der Experte stellt gezielte Fragen zur neuen Verhaltensweise und fordert die Lernende oder den Lernenden auf, das neu erworbene Vorgehen in eigenen Worten zu beschreiben. Die lernende Person benennt ihr/sein eigenes Wissen, verbalisiert Denkprozesse und konkretisiert das problemlösende Vorgehen, das sie/er gerade trainiert.
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5 Reflection
Die Expertin bzw. der Experte unterstützt die Lernende oder den Lernenden bei der Bewusstmachung durch geeignete Betrachtungstechniken. Die bzw. der Lernende bewertet ihr/sein eigenes Wissen und die neu erlernte Vorgehensweise im Vergleich zu anderen Lernenden und der Expertin bzw. dem Experten.
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6 Exploration
Die Expertin bzw. der Experte ist in diesem letzten Schritt komplett ausgeblendet und bleibt im Hintergrund. Die oder der Lernende kann Sachverhalte selbstständig bearbeiten, relevante Fragen stellen, den richtigen Bezugsrahmen finden sowie richtige Antworten generieren. So kann sie/er eigenständig neue Herausforderungen meistern und Problemstellungen lösen.
Praxisbeispiel: Die Roboter sind los
„Die Roboter sind los“ ist ein fächerübergreifendes Projekt, in dem die Lernenden mit einfachen Übungen an das Programmieren und Bauen von Robotern herangeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler erlernen zunächst mit einfachen Robotern grundlegende Kompetenzen und Handlungsabläufe, um sich anschließend mit einem anspruchsvolleren Robotersystem auseinanderzusetzen. Zum Abschluss der Unterrichtseinheit sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, selbstständig und ohne Anleitung einen Roboter für eine komplexe Problemstellung zu konstruieren und zu programmieren.
Im Folgenden wird die erste Projektphase zur Erarbeitung der Grundlagen des Programmierens beschrieben, die nach dem Modell des Cognitive Apprenticeship konzipiert und in den sechs Schritten durchgeführt wurde:
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Modelling
In diesem ersten Schritt führt die Lehrkraft den Roboter mit seinen Funktionen (im Rahmen dieses Projekts wurde mit Ozobots gearbeitet) vor und agiert als Modell und Expertin bzw. Experte. Sie zeichnet Farbcodes und Wegstrecken und lässt den Roboter komplexe Programme ausführen, die später Bestandteil der anspruchsvollen Problemstellungen sind. Die Lehrkraft erklärt, warum sie bestimmte Schritte durchführt und andere vernachlässigt.
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Coaching
Die Schülerinnen und Schüler müssen nun selbst in Gruppen mit jeweils einem Roboter kleine Übungen durchführen. Dafür bekommen die Gruppen jeweils kleine einfache Problemstellungen, die sie unterstützt von der Lehrkraft kooperativ lösen, und beobachten das Verhalten des Roboters, stellen Vermutungen zu seiner Fahrweise auf und diskutieren diese. Anschließend zeichnen die einzelnen Gruppen eigene Wege und beobachten erneut. So entdecken die Schülerinnen und Schüler den Umfang aller Steuermöglichkeiten des Roboters kennen. Die Lehrkraft gibt Feedback und Hilfestellung.
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Scaffolding · Fading
Die Lernenden führen nun erste komplexere Aufgaben durch. Die Lehrkraft ist ebenfalls mit eingebunden und hilft bei noch mangelndem Wissen oder Verständnisproblemen. In diesem Schritt werden beispielsweise Regelplakate von der Lehrkraft weitergegeben, falls es bei Gruppen zu Schwierigkeiten kommt. Im ersten Schritt messen die Schülerinnen und Schüler Zeiten, die ein Roboter für bestimmte Strecken benötigt, berechnen anschließend durch Zeitmessung und Umrechnung der Geschwindigkeiten beliebige Strecken mit dem Roboter. Mit der Aufgabenstellung ‚Mein Schulweg‘ müssen die Lernenden erstmals ein komplexes Problem lösen, da der Roboter richtig programmiert werden muss, um in das Ziel zu kommen. Mit steigenden Kompetenzen der Lernenden nimmt sich die Lehrkraft immer weiter zurück. (Fading).
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Articulation
Die Lehrkraft fordert die Schülerinnen und Schüler auf, ihre Lösungswege und möglichen Strategien für die Geschwindigkeitsmessungen bzw. Berechnungen sowie ihren persönlichen Programmiercode für das Schulwegproblem vorzustellen. Es findet somit eine Verbalisierung der eigenen Lösungen und Strategien statt.
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Exploration
Am Ende der ersten Phase des Projekts lösen die Gruppen nun eigenständig ein komplexes Problem. Der Roboter muss einen Weg durch ein Labyrinth sicher bewerkstelligen. Die Schülerinnen und Schüler wenden ihr neues Wissen und neue Strategien an, um die Aufgabe zu lösen. Es müssen die richtigen Codes mit Sprungbefehlen eingebaut werden. Ist diese Aufgabe geschafft, legen die Gruppenmitglieder den anderen Schülergruppen selbst konstruierte Problemstellungen und Aufgaben vor, die gelöst werden müssen.
Praxisbeispiel: Writing a film review
„Writing a film review“ ist eine Unterrichtseinheit, die als Blended Learning Szenario für den Einsatz in der gymnasialen Oberstufe konzipiert und umgesetzt wurde. Wie eine Filmkritik im Englischen aussieht, welche sprachlichen Mittel bei der Formulierung hilfreich sind und wie man eine eigene Kritik zu einem Film verfasst, wird nach dem Modell des Cognitive Apprenticeship im Wechsel von aufeinander abgestimmten Online-Einheiten auf mebis und im Präsenzunterricht vermittelt und trainiert.
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Hinweis
Die Unterreichtsheit „Writing a film review” entstand am Katharinen-Gymnasium Ingolstadt und wurde bereits mehrfach durchgeführt.
Im Folgenden sind die sechs Schritte der Unterrichtseinheit nach dem Modell des Cognitive Apprenticeship dargestellt.
Blick in den Kurs
Literatur
Collins, A., Brown, J. S., Newman, S. E. (1989). Cognitive apprenticeship: Teaching the crafts of reading, writing and mathematics. In L. B. Resnick (Ed.), Knowing, learning, and instruction: Essays in honor of Robert Glaser (pp. 453–494). Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates.
Niegemann, H. et. al. (2008). Kompendium multimedialen Lernens. Berlin: Springer, S. 17-40.
Strittmatter, P. & Niegemann, H. (2000). Lehren und Lernen mit Medien: Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 7-39.