Rolle der Lehrkraft zur Förderung von Kommunikation und Kooperation
Unterrichtssituationen mit kommunikativen und kollaborativen Schwerpunkten erfordern generell eine Veränderung der Lehrerrolle. Denn im Gegensatz zu ihrer Rolle in „klassischen“ Unterrichtsvarianten wird die Lehrkraft hierbei verstärkt zum Mentor, Unterstützer und Lernbegleiter. Diese Aufgaben gewinnen beim Unterrichten im 1:1-Setting sogar noch an Bedeutung, da durch den Einsatz digitaler Endgeräte die Möglichkeiten der Zusammenarbeit erweitert werden. Darüber hinaus tritt der Lehrende im kollaborativen Lernsetting vor allem als Organisator und Moderator auf.
Voraussetzung für kooperative Lernformen mit digitalen Medien ist, dass Schülerinnen und Schüler miteinander lernen und füreinander Verantwortung übernehmen. Die dazu erforderlichen sozialen Kompetenzen müssen demnach von der Lehrkraft explizit thematisiert und gefördert werden. Für die Erstellung digitaler kollaborativer Lernprodukte erscheint es nötig, dass die Lernenden entsprechend angeleitet und in der Planung spezifische Bedingungen der 1:1-Ausstattung berücksichtigt werden. Eng damit verbunden ist die Notwendigkeit gewisser Medienkompetenzen der Lehrkraft, um ein konformes Agieren im digitalen Raum zu ermöglichen.
Auch Norm Green beschreibt die neue Lehrerrolle in seinem Buch „Kooperativ Lernen im Klassenraum und im Kollegium – ein Trainingsbuch“ ausführlich und unterteilt die Aufgaben einer Lehrkraft in diesem Zusammenhang in drei Bereiche:
· Entscheidungen vor dem Unterricht (Vorbereiten und Planen)
· Strukturierung des Unterrichts (Anleiten und Begleiten)
· Beobachten und Beurteilen (Bewerten)
Diese Einteilung lässt sich auch auf digitale Unterrichtsszenarien, die auf eine Zusammenarbeit abzielen, übertragen.
Welche Entscheidungen muss ich bei der Planung kollaborativer Unterrichtsformate im 1:1-Setting treffen?
Welche unterrichtlichen und kooperativen Kompetenzen sollen die Lernenden erwerben oder in ihren Gruppen verstetigen?
Welche Methode passt für das kooperative Lernen in Abhängigkeit vom konkreten Unterrichtsthema? Welches Vorwissen bringen die Lernenden in Bezug auf die gewählte Methode mit?
Inwiefern besitzen die Schülerinnen und Schüler bereits die erforderlichen Bedienkompetenzen für ein bestimmtes digitales Tool?
Können Wissenslücken innerhalb eines Teams geschlossen werden oder ist eine Demonstration durch die Lehrkraft erforderlich?
Wie kann ich soziale Kompetenzen bei den Lernenden, beginnend von einer Partnerarbeit bis hin zu größeren Lerngruppen, systematisch fördern?
Welche Gruppengröße bietet sich für die Bewältigung der Aufgabe an?
Steuert die Lehrkraft die Gruppenbildung bewusst, bestimmen die Lernenden die Gruppenzusammensetzung oder kann sie dem Zufall überlassen werden? Grundsätzlich gilt: Je nachdem, welches Ziel mit der Gruppenarbeit verfolgt wird, hat jede der drei Möglichkeiten ihre Berechtigung.
Hat jede Schülerin und jeder Schüler in der Gruppe für die Lösung des Gruppenauftrages eine konkrete und klar definierte Rolle inne?
Wie kann ich die individuelle Beteiligung sichtbar machen?
Welche Möglichkeiten hat die Gruppe, ihre Aufgaben auch außerhalb der Unterrichtszeit weiter zu bearbeiten? (Kommunikation und Organisation)
Welche räumlichen Begebenheiten sind für die Aufgabenbewältigung erforderlich? (z. B. Anzahl an Räumen, Sitzordnung, technische Ausstattung)
Welche Komplexität zeigt das verwendete Tool auf?
Können bestimmte Organisationstools die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Lehrkraft und Lernenden sowie den Lernenden untereinander unterstützen?
Welchen Zeitrahmen setze ich? Wie kann ich die Lernenden bei der Einhaltung des Zeitrahmens unterstützen?
Werden die Aufgaben nur in der Schule oder auch zu Hause erledigt?
Welche digitalen Möglichkeiten gibt es, den zeitlichen Rahmen nicht aus den Augen zu verlieren? (Timer, Alarm, Kanban-Board etc.)
Sind die Aufgabenstellungen der bereitgestellten Unterrichtsmaterialien so formuliert, dass im 1:1-Setting kommunikativ und kooperativ gearbeitet werden kann?
Wird sowohl Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Teammitgliedern als auch die individuelle Verantwortung der Schülerinnen und Schüler systematisch gefördert?
Inwiefern sollten digitale Differenzierungsmöglichkeiten, Erklärvideos und Anleitungen angeboten werden?
Welche Kommunikationsregeln bilden die Basis kooperativen Arbeitens im 1:1-Setting?
Werden medienerzieherische Aspekte berücksichtigt? (Urheberrecht, Quellenangaben usw.)
Sind bestimmte organisatorische Rahmenbedingungen anzusprechen?
Wie strukturiere und begleite ich kollaborative Lernarrangements?
Das kollaborative Arbeiten mit dem digitalen Endgerät erfordert in vielen Fällen eine sehr gründliche und gut strukturierte Anleitung und Begleitung der Lernenden. Dazu müssen die Schritte aus den Vorüberlegungen nun in die Praxis überführt werden. In Abhängigkeit von der Jahrgangsstufe und Schulart beziehungsweise den bisherigen Erfahrungen der Lerngruppe werden sowohl die Aufgabenstellung als auch Regeln für die Zusammenarbeit im 1:1-Setting sehr deutlich kommuniziert. Bei der Durchführung sollte stets die systematische Entwicklung einer positiven Abhängigkeit und individuellen Verantwortung der Schülerinnen und Schüler sowie die Kooperation untereinander im Vordergrund stehen. Es ist wichtig, dass Sie als Lehrkraft während des kollaborativen Arbeitens präsent sind und den Prozess aktiv begleiten. Seien Sie bereit, bei Bedarf zu intervenieren, um sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler effektiv zusammenarbeiten und ihre Ziele erreichen.
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Den Lernenden Orientierung geben
a) Unterrichtsstunden nach ähnlichen Prinzipien strukturieren
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Ich bemühe mich, Unterrichtsstunden, in denen ich eine Zusammenarbeit mit dem digitalen Endgerät plane, immer ähnlich aufzubauen und den Lernenden einen Überblick zu geben. Zunächst gehe ich auf das Werkzeug ein, mit dem die Lernenden arbeiten sollen. Dabei kann ich bereits einzelne Regeln erläutern, die für die anschließende Zusammenarbeit wichtig sind. Im Anschluss wird der Arbeitsauftrag gemeinsam besprochen, wobei jeder Lernende die wichtigsten Aufgaben sowie – falls erforderlich – einen Zugangslink zu einer gemeinsamen Arbeitsoberfläche schriftlich auf einer „Aufgabenkarte“ erhält. Falls relevant, werden auch Bewertungskriterien an geeigneter Stelle thematisiert bzw. gemeinsam erarbeitet."
Bereiten Sie die Lernenden vor, indem Sie sie in allem unterweisen, was sie wissen müssen. (Werkzeugüberblick, Regeln, Arbeitsauftrag, Bewertungskriterien)
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Den Lernenden Orientierung geben
b) Bedienkompetenz schulen
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Je nach Vorwissen der Lerngruppe demonstriere ich die wichtigsten Funktionen des für die anstehende Zusammenarbeit gewählten Werkszeugs.
Die Lernenden testen diese Funktionen entweder parallel zur Vorführung oder unmittelbar im Anschluss an die Demonstration. So können sie sich noch unabhängig von einer inhaltlichen Fragestellung hinsichtlich Schwierigkeiten bei der Verwendung des Tools erkundigen."
Demonstrieren Sie den Umgang mit dem gewählten Werkzeug und integrieren Sie zeitgleich wichtige Regeln für die Zusammenarbeit in Verbindung mit der unmittelbaren Nutzung.
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Den Lernenden Orientierung geben
c) Kommunikationswege/-formen innerhalb der Gruppe darlegen
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Für eine gemeinsame Textproduktion nutze ich beispielsweise gerne ein Werkzeug, das sowohl eine Unterhaltungs- als auch eine Kommentarfunktion beinhaltet. Auf diese Weise kann ich sicherstellen, dass die Lernenden für einen Austausch untereinander ausschließlich den Chat nutzen. Rückmeldung seitens der Lehrkraft erhalten sie dann durch Kommentare am Rand. Die Trennung von Schülerkommunikation und Rückmeldung durch die Lehrkraft erleichtert den Lernenden die Arbeit enorm."
Legen Sie fest, mittels welcher Möglichkeiten ein Schüleraustausch stattfindet bzw. inwiefern Anmerkungen durch die Lehrkraft zu erwarten sind.
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Individuelle Verantwortung strukturieren und Kooperation gestalten
a) Positive Abhängigkeit und Verantwortungsgefühl entwickeln
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Eine sinnvolle Aufgabenverteilung gelingt zum Beispiel durch verschiedene Expertenrollen, die die Lernenden einnehmen sollen oder eine konkret vorgegebene Anzahl an erwarteten Beiträgen pro Schüler bzw. Schülerin. Auf diese Weise ist jeder für das Gelingen des Endprodukts verantwortlich.
Weiterhin achte ich darauf, dass die Beteiligung aller Teilnehmenden möglichst ersichtlich wird, z. B. durch den Einsatz unterschiedlicher Farben. In manchen Tools wird jedem Nutzer bzw. Nutzerin automatisch eine eigene Farbe zugeordnet."
Bereiten Sie die Lernenden vor, indem Sie sie in allem unterweisen, was sie wissen müssen. (Werkzeugüberblick, Regeln, Arbeitsauftrag, Bewertungskriterien)
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Individuelle Verantwortung strukturieren und Kooperation gestalten
b) Kooperative Kompetenzen anbahnen
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Häufig belasse ich es während der Arbeitsphasen nicht beim bloßen Beraten von Angesicht zu Angesicht. Ich lege Wert darauf, Zwischenergebnisse zu sichten und bei Bedarf zu besprechen. Bei der Verwendung eines kollaborativen Tools nutze ich genau wie die Lernenden den Zugang zur jeweiligen Arbeitsoberfläche der Gruppe und verschaffe mir so einen Überblick. Durch die klare Aufgabenverteilung und den Einsatz von Farben lässt sich gut feststellen, wenn sich Einzelne weniger einbringen als ihre Mitlernenden. In diesem Fall spreche ich die Betreffenden direkt an und unterstütze sie. Auch Zwischenabgaben stellen eine gute Möglichkeit dar, die Fortschritte der Arbeitsgruppe im Blick zu behalten."
Beobachten Sie das Verhalten und den Arbeitsfortschritt der Lernenden, um bei Bedarf einschreiten und kooperative Kompetenzen anbahnen zu können.
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Didaktische Reduktion und Differenzierung
a) Inhaltlich vorstrukturieren
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Im Hinblick auf kollaborative Arbeitsaufträge bemühe ich mich vor allem bei den unerfahreneren Lerngruppen, inhaltlich vorzuentlasten. Bei einer beabsichtigten gemeinsamen Textproduktion gebe ich unter Umständen schon Beispiele vor. So formuliere ich bereits im Vorfeld Textpassagen, die ergänzt oder weitergeführt werden sollen. Oder ich lege für eine gemeinsame Ideensammlung bereits die Struktur einer Mindmap an, damit sich die Lernenden uneingeschränkt auf die geforderten Inhalte konzentrieren können."
Überlegen Sie sich Möglichkeiten zur organisatorischen Entlastung der Lernenden, z. B. durch die Vorgabe bestimmter Inhalte oder ein vorstrukturiertes Layout.
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Didaktische Reduktion und Differenzierung
b) Hilfestellung anbieten
Erfahrungsbericht einer Lehrkraft
Empfehlung:
„Lernenden erhalten den Arbeitsauftrag in schriftlicher Form auf einer Aufgabenkarte, die auch eine Zugangsmöglichkeit zu weiterführenden Hilfen enthält (QR-Code/ Kurzlink zu Erklärvideo, Internetseite usw.)."
Planen Sie gezielt Hilfestellungen mit ein.
Wie erreiche ich Lernprogression in einer kollaborativen Lernkultur?
Beobachtung und Feedback zum kollaborativen Arbeitsprozess
Ein wesentliches Element des kooperativen Lernens ist die Beobachtung des Arbeitsfortschrittes sowohl aus der Sicht des Lehrenden, vor allem aber aus der Sicht des Teams und des einzelnen Teammitgliedes. Hierin liegt ein großes Potenzial für die Entwicklung von Persönlichkeitseigenschaften wie Ausdauer, Verantwortungsgefühl und Einsatzbereitschaft.
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Während des Arbeitsprozesses I
Während des kollaborativen Arbeitsprozesses bedarf es einer regelmäßigen Reflexion in Bezug auf den Lernprozess innerhalb einer Gruppe. Dies ist für die Schülerinnen und Schüler der erste Schritt, ihr Arbeitsverhalten zu analysieren. Dabei gilt es sowohl das Verhalten jedes Einzelnen im sozialen Miteinander, den Lernfortschritt allgemein als auch ablaufende Gruppenprozesse zu beobachten und kritisch zu reflektieren. Dies ermöglicht, den weiteren Verlauf des kooperativen Arbeitsprozesses zu verändern und zu verbessern.
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Während des Arbeitsprozesses II
Auch von Seiten der Lehrkraft muss das Lernverhalten der einzelnen Gruppen während des Arbeitens beobachtet werden. Entsprechende Maßnahmen zur Förderung des kooperativen Lernens gilt es je nach Fortschritt zu ergreifen, um Veränderungen vornehmen zu können und ein weiteres Gelingen der Zusammenarbeit einer Gruppe zu ermöglichen.
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Nach Abschluss des Arbeitsprozesses I
Nach Abschluss der Zusammenarbeit sollte jeder Schüler bzw. jede Schülerin zunächst individuell den Arbeitsprozess einschätzen, um sich mit Blick auf ähnliche Lernarrangements in der Zukunft persönlich weiterentwickeln zu können.
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Nach Abschluss des Arbeitsprozesses II
Auch die einzelnen Gruppen sollen über ihre Zusammenarbeit nachdenken, indem sie fragegeleitet miteinander diskutieren. Lassen Sie die Gruppen abschließend vor der Klasse zusammenfassen, welches Verhalten beibehalten und was künftig verändert werden soll.
Bewertung des kollaborativen Arbeitsprozesses und -produkts
Bevor die endgültige Beurteilung stattfindet, müssen folgende Fragen zur weiteren Vorgehensweise in Erwägung gezogen werden:
Wie kann ich die Schülerinnen und Schüler zu konstruktiver Kritik anleiten? (Bewertungskriterien wiederholen)
In welcher Form stelle ich die Endergebnisse zur Verfügung? (Auswahl, Präsentation vor der Klasse, digitaler Zugang, …)
Beabsichtige ich, die Präsentationsweise ebenfalls zu beurteilen?
Inwiefern lasse ich die Schülereinschätzungen über das eigene Arbeitsverhalten bzw. die Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe in die Beurteilung einfließen?
Wie beurteile ich das (individuelle) Arbeitsverhalten und das Funktionieren der Gruppe?
Wie gelingt mir Transparenz bei der Beurteilung des entstandenen Produkts und wie kommuniziere ich diese? (z. B. Kriterienkatalog)
Falls ein kollaboratives Projekt bewertet wird, setzt sich die Benotung in der Regel aus verschiedenen Teilbereichen zusammen, indem sowohl der Prozess als auch das Produkt bewertet werden. Dabei finden die bereits im Vorfeld dargestellten Bewertungskriterien ihre Anwendung. Je nach Vorgaben und Rollenverteilung können die Schülerinnen und Schüler für das erstellte Produkt sowohl eine Gruppennote als auch eine Einzelnote erhalten. Für den Arbeitsverlauf hingegen bekommen alle Lernenden eine individuelle Benotung, abhängig von den ihnen zugewiesenen Aufgabenbereichen. Möglicherweise kann auch die Selbsteinschätzung mit festgelegten Kriterien innerhalb der Gruppe zu einer weiteren Teilnote führen.
Generell haben sich folgende drei Bereiche zur Bewertung bewährt:
Produktbezogene Kriterien
z. B. sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit, Informationswert, äußere Gestaltung
Prozessbezogene Kriterien
z. B. Qualität der Planung im Team, Effizienz des Vorgehens, Sorgfalt, Fähigkeit zur Selbstkorrektur, Leistungen des Einzelnen in der Gruppe
Präsentationsbezogene Kriterien
z. B. Vortragsweise, Nutzung der den Vortrag unterstützenden Medien, inhaltliche Qualität der Ausführungen
Darüber hinaus sind - im Sinne einer Progression an Feedbackstufen - bei einer langfristigen kollaborativen Lernkultur auch weitere Kriterien, wie beispielsweise eine individuelle Leistungszulage (für qualitativ hochwertige Leistungen), eine Qualifikationszulage (für die Erfüllung festgelegter Aufgaben innerhalb eines Teams) oder eine zielorientierte Gruppenzulage (für bestimmte erkennbare Entwicklungsprozesse in der Gruppe) einsetzbar.