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Grundlagenforschung

„Die Ziele, die sich in einem ausschließlich auf Buch und Schrift basierenden Unterricht realistischerweise erreichen lassen, unterscheiden sich signifikant von den Zielen, die man mit Buch, Schrift, Tablet und Internetzugang ansteuern kann. Der wahre Mehrwert digitaler Medien besteht also nicht darin, alte Ziele schneller zu erreichen, sondern völlig neue Zieldimensionen erstmals zu erschließen, die im Idealfall gesellschaftlich und individuell bedeutsam sind (vgl. hierzu Rosa 2017).“ (Wampfler & Krommer 2019) (aus Leisen S. 7)

Anmerkung:

Im Folgenden beziehen sich die Bezeichnungen „digitale Texte“ bzw. „digitales Lesen“ im Sinne eines erweiterten Textbegriffes nicht nur auf „geschriebene“ Texte, sondern auch auf Hörtexte, Videos und andere digital aufbereitete Materialien.

Wie unterscheiden sich analoges und digitales Lesen?

Davon ausgehend, dass ein Text auf einem Blatt Papier oder einem digitalen Endgerät optisch gleich aufbereitet ist und sich lediglich der Informationsträger ändert, ergeben sich einige Gemeinsamkeiten des analogen und digitalen Lesens. Sowohl digitale als auch gedruckte Texte lassen sich multimodal, also mit Bildern, Querverweisen, Anmerkungen etc., anreichern, wodurch gezielt Vorwissen aktiviert wird und das Lesen durch entsprechende Leseaufträge angeleitet werden kann.
Geht die Verwendung der digitalen Möglichkeiten jedoch über den bloßen Wechsel des Informationsträgers hinaus, sind die Lernenden nicht nur mit einer realistischeren Situation konfrontiert, wie sie Texte im digitalen Bereich – insbesondere im Internet – vorfinden, auch das Lesen unterscheidet sich deutlich von dem bisher Bekannten.
Als Lehrkraft muss ich mir diese Unterschiede zunächst einmal bewusst machen, um schließlich gezielt die erforderlichen Kompetenzen für die Auseinandersetzung mit „echt“ digitalen Texten fördern zu können.

Nach Prof. Josef Leisen ergeben sich folgende Unterschiede für das analoge und digitale Lesen: (QUELLE)

Analoges Lesen

Digitales Lesen

Der Lesende widmet sich meistens ausschließlich einem einzigen Text.

 

 

Übersichtlichkeit durch

  • lineare Leserichtung

  • eingeschränkten Umfang

  • geringe Anzahl der Verweise

  • dauerhafte Präsenz des Textes

 

Der Lesende wird mit multiplen (=vernetzten) und multimodalen (=vielfältigen Darstellungen) Texten konfrontiert.

Aufhebung der linearen Leserichtung durch

  • breiter Umfang aufgrund von dichten Hypertextstrukturen

  • nicht zwangsläufig dauerhafte Verfügbarkeit des Textes

 

LESEN IN DIE TIEFE

LESEN IN DIE BREITE

In der Folge ergeben sich daraus Unterschiede hinsichtlich der analogen und digitalen Textkompetenzen (aus Leisen, S. 8. Bezüglich der Lesekompetenz sollte weiter das „Schreiben“ in den Blick genommen werden. Der aktuelle Forschungsstand ist hier nachzulesen.

Erkenntnisse aus der Leseforschung

Nach Wampfler passen sich die kognitiven Leistungen von Menschen „ihrer Umgebung an. Eine digitale Lernumgebung verlangt nach anderen Kompetenzen als eine analoge.“ (aus: ...) Das ist ganz ohne Wertung zu sehen. Mit der Nutzung digitaler Medien allein ist nicht automatisch ein Erwerb der erforderlichen Kompetenzen verbunden. Stattdessen muss die Lehrkraft die Lernenden zu Metakognition führen, sodass diese selbst über ihre Strategien, ihre Denkweisen und Leistungen nachdenken und entsprechende Rückschlüsse hinsichtlich des gewählten Lesemediums ziehen.

Mehrere Überblickstudien untersuchten, wie das Lesemedium (Bildschirm vs. Papier) die Leseleistung beeinflusst und führten zu folgenden Ergebnissen:

  • Lesende verstehen Texte besser, wenn sie diese auf Papier und nicht am Bildschirm lesen (Delgado et al., 2018; Kong et al., 2018; Clinton, 2019). In der Untersuchung unterschieden sich die Lesebedingungen nur durch das Medium (Papier vs. Bildschirm), Inhalt und Darstellung der Texte waren identisch.

  • Bei einer begrenzen Lesezeit verstärkt sich der Vorteil des Lesens auf Papier (Delgado et al., 2018).

  • Differenzen zeigen sich insbesondere bei Kindern (10 bis 13 Jahre) mit unterschiedlichen Lesefähigkeiten:  Jene mit geringeren Lesefähigkeiten verstehen Texte besser, wenn sie diese (unter Zeitdruck) auf Papier gedruckt lesen; bei Kindern mit hohen Lesefähigkeiten ergeben sich keine negativen Effekte beim Lesen am Bildschirm (Salmerón et al., 2021).

  • Eine vermehrte Nutzungsdauer digitaler Geräte für schulische Zwecke geht nicht mit einer Verbesserung der allgemeinen Lesekompetenz einher. (Vgl. Digital lesen von A. Gold, S. 13)

 Es zeigt sich also, dass sich individuelle Voraussetzungen, wie die Lesefähigkeit, auf das Verständnis beim Lesen „am Bildschirm vs. Papier“ auswirken.

Darüber hinaus bieten diese Forschungsergebnisse Anlass zum Nachdenken, zu welchem Zweck und mit welchem Geschick Lehrkräfte die elektronischen Geräte im Unterricht einsetzen. Darauf kommt es an! Denn Kinder müssen sich in Zukunft sowohl in analogen als auch digitalen Lesewelten zurechtfinden. Also sollte es das Ziel jeder Lehrkraft sein, den Lernenden für beide Welten ausreichend Kompetenzen zu vermitteln.

 Dies geht auch aus der Stavanger Erklärung hervor. Ein ganz zentrales Handlungsfeld für die Schule ist die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte im Abwägen zwischen herkömmlichem und digitalem Lesen, der pädagogischen Begleitung des digitalen Lesens mit der Vermittlung entsprechender Strategien beziehungsweise der Nutzung von Lese-Tools und der metakognitiven Selbstkontrolle.

Stavanger Erklärung

Zur Zukunft des Lesens

Anforderungen an digital Lesende

Anforderungen an digital Lesende

Digitale Medien „ermöglichen interaktive Darbietungsformen sowie individuelle Lesepfade, die dem gedruckten Buch verschlossen bleiben.“ Dabei sind sie jedoch auch mit diversen Anforderungen verbunden. Denn digital „Lesende müssen sich beim Online-Lesen zielsicher durch einzelne Dokumente bewegen, zwischen Dokumenten navigieren, Informationen aus unterschiedlichen Dokumenten wertend miteinander verknüpfen und dabei Widersprüche und Kohärenzen erkennen – und bei alldem die Seriosität der Quellen im Blick behalten.“ (A. Gold, S. 37-38)

Wie sehen diese Anforderungen konkret aus?

  1. Wer auf digitalen Endgeräten liest, durchsucht oder überfliegt Texte oft, liest nur Teile davon oder springt vom einen Text zum anderen. Also ist beim Lesen am Bildschirm eine größere Konzentration erforderlich, um nicht ständig mit den Gedanken abzuschweifen.

  2. Es ist zu bedenken, dass Hyperlinks nicht nur eine Erweiterung des Lesens, sondern auch eine Unterbrechung oder Störung darstellen können! („verführerische Kraft der Hyperlinks“)

  3. Die Navigation in digitalen Texten erfordert zusätzliche kognitive Kapazitäten, denn Scrollen, digitales Blättern etc. unterbrechen den Lesefluss.

  4. Im Vergleich zu analogen Texten sollte berücksichtigt werden, dass ein örtliches Zurechtfinden in digitalen Texten (vorne, hinten) schwerer möglich ist.

  5. Ein Gelingensfaktor für das digitale Lesen ist die Beherrschung des extensiven Lesens. Dieses erfordert mehr selbstorganisiertes Lernen und zusätzliche Strategien.

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