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Werte und Medien im digitalen Zeitalter

Werte sind zunächst frei wählbar, historisch bedingt und interpretierbar, gleichzeitig aber in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nicht beliebig. Insbesondere in unserer Zeit sind digitale Medien eine zentrale Sozialisationsinstanz für Kinder und Jugendliche, weshalb Werte- und Medienbildung nicht mehr voneinander zu trennen sind. Da trotz der sich verändernden Medienlandschaft die Funktion von Vorbildern, wenn auch in veränderter Weise, bestehen bleibt, muss der Umgang mit diesen erlernt werden. Außerdem sollten Lehrkräfte ihre eigene Vorbildfunktion deutlich im Sinne einer werteorientierten Medienerziehung urbar machen.

Werte - Der „Kitt” für die Gesellschaft

Was ist mir persönlich wichtig? Was für ein Mensch möchte ich sein? In was für einer Gesellschaft möchte ich leben? Wer sich unter anderem diese Fragen stellt und sein Leben nach den Antworten darauf ausrichtet, gilt als „werteorientiert“.

Werte sind somit in einer Gesellschaft mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung zunächst etwas Persönliches, sie sind frei wählbar. Verhaltenswirksam werden sie in erster Linie in gesellschaftlichen Normen. In Gesetzestexten sind sie in Verbindlichkeit gegossen (vgl. Gebel/Wütscher 2015, S. 7f.). Auch sind sie der Zeit unterworfen. Gerade in Phasen starker gesellschaftlicher Veränderungen, wie sie im Zuge der digitalen Transformation auftreten, werden sie immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Ihre individuelle sowie gesellschaftliche Rangordnung wandelt sich mit, genauso wie die Interpretation einzelner Werte. Maßgebliche Umwälzungen im 19. Jahrhundert haben den Wertebegriff an sich überhaupt erst hervorgebracht, „in einer Zeit, als […] das alteuropäische Gefüge des Denkens, Glaubens und Fühlens auseinanderbrach“ (Sommer 2016, S. 83). Dies ging einher mit einer Verschiebung gesellschaftlicher Prämissen in Richtung Individualität und Liberalismus. So verändern sich Werte und ihre Bedeutung stetig, sie konkurrieren oft miteinander oder verhalten sich zueinander konträr.

Umso wichtiger ist es, dass man sich auf Werte verständigt, die einer freiheitlichen Gesellschaft als Grundpfeiler dienen. Aber nicht, weil man zufällig dieselben Werte vertritt oder auf sozialen oder politischen Druck hin vertreten muss, sondern weil Einigkeit darüber besteht, dass unterschiedliche Werthaltungen nebeneinander bestehen können, solange gewisse Grundwerte, beispielsweise des Friedens, der Sicherheit und der freien Meinungsäußerung, geteilt werden. Nur so erfüllen Werte das ihnen zugeschriebene Potenzial, als „Kitt einer Gesellschaft“ zu fungieren.

© istock.com/AliseFox

Literatur

 Die Interpretation von Werten

Doch was bedeutet z. B. Freiheit? In unserer pluralen, durch die digitale Transformation immer schnelllebiger gewordenen Gesellschaft spielen neben politischen Überzeugungen sowie Religionen veränderte Lebensformen und -einstellungen eine Rolle im persönlichen Wertebezug. Somit fehlen häufig aufgrund der immer stärkeren Diversifikation und Individualisierung der ethischen Lebensgrundsätze konsensierte Auslegungen zu den zunächst abstrakten Wertebegriffen. Sommer (2016) hat Recht, wenn er sagt: „Der Banker versteht unter Freiheit etwas anderes als der Häftling, der Sozialrevolutionär etwas anderes als der religiös Erweckte.“ (S. 18) Ähnliche Ergebnisse liefert in Bezug auf die Werthaltungen junger Menschen auch die Ende 2018 von der Brunswick Group und dem Wertebündnis Bayern erstellte Studie „Lost in Translation”, in deren Rahmen junge Erwachsene in Bayern im Alter zwischen 16 und 25 Jahren zu ihrem Werteverständnis und der Relevanz von Werten in ihrem Leben befragt wurden: „Junge Erwachsene tun sich bereits mit der Erklärung des Wortes ,Werte‘ schwer. Es besteht kein einheitliches Verständnis des Oberbegriffs ,Werte‘ und der jeweiligen Einzelwerte“ (S. 2). So wurde etwa ‚Respekt‘ als bedeutender Wert genannt, allerdings ganz unterschiedlich ausgelegt.

Kinderhände im Kreis
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Literatur

  • Sommer, Andreas Urs (2016): Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt. 1. Auflage. Stuttgart. J.B. Metzler Verlag.

 Mediensozialisation und Werte

Werte zu entwickeln, die als Richtschnur für das eigene Leben dienen, ist eine lebenslange Aufgabe und hängt dabei vor allem von biographischem Erfahrungslernen ab. Der Schule kommt dabei neben dem Elternhaus eine entscheidende Funktion im Wertebildungsprozess zu. Neben einer Wertesozialisation im Kinder- und Jugendalter, die informell (über die Peer-Group) passiert, ist auch die Bereitstellung von non-formalen und formalen Lerngelegenheiten in diesem Kontext von großer Bedeutung. Schubarth (2019, in Verwiebe, S. 83 ff.) unterscheidet diese Prozesse in indirekte und direkte Formen der Wertebildung. Medien, d. h. heute in erster Linie Serien bzw. Filme, Entertainment- und Streamingplattformen, soziale Netzwerke und Games (vgl. JIM-Studie 2019), nehmen dabei einen zentralen Part ein.

Die sogenannte Mediensozialisation umfasst alle Aspekte, bei denen Medien für die psychosoziale Entwicklung (von Heranwachsenden) eine Rolle spielen (vgl. Süss et al. 2018). Kinder und Jugendliche nutzen Medien und ihre Inhalte unter anderem als Hilfestellung zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, z. B. der Herausbildung der eigenen Identität, Geschlechterrollen und eines realistischen Körperbildes. Sie rekurrieren gegebenenfalls auf mediale Inhalte als Modelle zur Konfliktbewältigung, u. a. bei Belastungen und Krisen (kritische Lebensereignisse, wie z. B. Scheidung der Eltern) sowie bei „schwierigen Übergängen” (z. B. Pubertät). Medien bieten Kindern und Jugendlichen dabei einerseits Werthaltungen an, andererseits dienen ihnen vor allem soziale Netzwerke und Online-Communities auch als Artikulationsinstrumente (vgl. Gebel/Wütscher 2015). Dieser Umstand ist aus pädagogischer Sicht positiv zu bewerten, solange Medien als „Steinbruch“ sowie spielerisches Erprobungsfeld genutzt werden, beides in einem (persönlichkeitsrechtlich) geschützten Rahmen stattfindet und ein Abgleich mit der Wirklichkeit erfolgt. Problematisch wird es dann, wenn Kindern und Jugendlichen dabei bewusst oder unbewusst Werte vermittelt werden, die ihrem Entwicklungsprozess schaden (vgl. 3. Vorbilder), was leider nicht selten geschieht.

Kinder schauen auf Smartphones
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Literatur

Werte & Medienbildung - Ein unzertrennliches Paar

Kernziel bleibt es aus bildungspolitischer Sicht, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, die sich in der Gesellschaft zurechtfinden und sich für diese einsetzen. Doch was bedeutet das heutzutage? Durch die Digitalisierung hat eine Loslösung der Information vom Trägermedium (= spezifisches Speicher-/ Abspielgerät, z. B. Fernsehen, DVD, Radioapparat usw.) stattgefunden, womit eine Unabhängigkeit von „Zeit und Raum” einhergeht. Die damit verbundenen Konsequenzen sind gravierend: Es kommt zu einer deutlichen Zunahme der mittlerweile weitgehend mobilen Mediennutzung im Alltag. Medien können zu jeder Zeit und von jedem Ort aus eingesetzt werden. Man kann von überall mit jedem synchron sowie asynchron kommunizieren, sich informieren, sich ablenken bzw. unterhalten lassen und andere beispielsweise mittels selbst erstellter Fotos und Videos in Echtzeit am eigenen Leben teilhaben lassen (vgl. Moser 2019, S. 20-24). Im letzten Jahrzehnt sind digitale Medien, v.a. Smartphones, somit zu einer zentralen Informations- und Sozialisationsinstanz geworden, da sie immer und überall verfügbarer, fester Bestandteil des Alltags geworden sind. Im Zeitalter der Digitalisierung werden Medien somit selbst zum Wert: „Always on, always connected” sein zu können, hat für Jugendliche laut dem Kommunikations- und Medienethiker Prof. Dr. Bernhard Debatin heutzutage selbst „Wertstatus” (vgl. Debatin 2016). Entsprechend groß ist der Einfluss auf die Entwicklung der Heranwachsenden und auch die Ausbildung von Werthaltungen geworden. Daher sind Werte- und Medienbildung mittlerweile untrennbar miteinander verwoben. Um sich seines Agierens sicher und Teil der digitalisierten Gesellschaft sein zu können, müssen Kinder und Jugendliche partizipierende Bewertungen von Handlungen im Internet vornehmen und ihr eigenes Tun im digitalisierten Lebensraum ethisch-kritisch reflektieren, nicht zuletzt da das Netz sehr schnelllebig ist und Inhalte jeglicher Art unkontrolliert verbreitet werden können.

Diverse hands with love sign
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Literatur

  • Debatin, Bernhard (2016): Welche Werte vermitteln digitale Medien Heranwachsenden? In: merz 1/2016 (60), S. 53-58.
  • Moser, Heinz (2019): Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im digitalen Zeitalter. 6. überarb. u. aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.

Vorbilder als Konstante

Insgesamt haben Familie und Beziehungen immer noch den stärksten Einfluss auf Kinder und Jugendliche in Bezug auf die Wertebildung (vgl. Shell-Studie 2019), trotzdem darf der Einfluss medialer Vorbilder keinesfalls unterschätzt werden, da gilt: Je jünger das Kind ist und je stärker die Identifikation mit dem Vorbild, desto intensiver ist die Wirkung.

Schon Vor- und Grundschulkinder wachsen in einer multimedialen Welt auf. Auch ihr Leitmedium ist längst nicht mehr das Buch. Viele nutzen Laptops, Tablets und Smartphones, bevor sie lesen können. Kindergartenkinder haben ein großes Bedürfnis und einen ebenso großen Spaß daran, sich mit medialen Inhalten spielerisch auseinanderzusetzen. Kinder im Vorschulalter haben auch heute „Medienhelden“ und konsumieren die dazu angebotenen Produkte nicht mehr nur im Fernsehen, sondern auch über Laptops, Tablets und insbesondere Smartphones (vgl. JIM-Studie 2019, S. 22 ff.). Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher unterschätzen dabei laut aktuellen Studien noch die Notwendigkeit einer Medienerziehung im Kindergarten (vgl. Süss et al. 2018, S. 145-148).

Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass Vorbilder weiterhin wichtig sind, klassisch ganzheitliche mediale Vorbilder dabei aber vor allem bei Jugendlichen weitestgehend ausgedient haben. Je älter die Kinder und Jugendlichen werden, desto stärker haben sie „Vorbilder in Facetten“ (Werte, Aussehen, Ernährung, Politik) – so sind Vorbilder heute wirkungsmächtiger als früher, allerdings ist der Adressatenkreis differenzierter und kleiner. Dies bezeichnet man auch als „micro influencing“. Im Rahmen des Safer Internet Day 2020 „Idole im Netz. Influencer und Meinungsmacht“, hat die EU-Initiative Klicksafe eine Befragung von 600 Schülerinnen und Schüler im Alter von 13-20 Jahren in einer nicht-repräsentativen Online-Umfrage durchgeführt. Laut dieser nehmen Influencerinnen und Influencer, z. B. auf Youtube, mit ca. 20% fast genauso großen Einfluss auf die Meinungsbildung von Kindern und Jugendlichen wie Lehrpersonen (ca. 25%).

Woman viewing someone's photo on mobile phone
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Literatur

  • Süss, Daniel; Lampert, Claudia; Trültzsch-Wijnen, Christine (2018): Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung. 3. aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.

 Die Vorbildfunktion von Lehrkräften

In den Medien werden Werte oft in Formaten transportiert, die für Kinder und Jugendliche nicht einfach interpretierbar sind. In Filmen verstecken sie sich in Charakteren oder der Gegenüberstellung von „Gut und Böse“, in sozialen Medien kommen sie als Informationen scheinbar vertrauenswürdiger Personen daher und in vielen Fällen ist die Unterscheidung zwischen Realität und Marketing nicht einfach: Dass hinter einer Influencerin bzw. einem Influencer auf Instagram oft ein professionelles Team und eine Marketing- sowie Aufmerksamkeitsbindungsstrategie steckt, ist den Konsumentinnen und Konsumenten aufgrund der scheinbaren Authentizität, der Täuschung durch visuell ansprechende Ästhetik und vermittelter Glaubwürdigkeit nicht immer bewusst. Auch besteht laut Debatin die Gefahr eines Minderwertigkeitsgefühls gegenüber der Technik an sich, wenn man beispielsweise den Eindruck erhält, ohne Filter und Photoshop überhaupt nicht mehr „perfekt” aussehen zu können. Wenn den Konsumierenden ein stabiles Wertefundament und ein Unterstützungssystem in ihrem sozialen Umfeld fehlen, kann der Einfluss medialer Vorbilder also sehr groß sein. Besonders alarmierend im Kontext Schule ist, dass die unter 25-Jährigen in der DIVSI-U25-Studie von 2018 angegeben haben, nur 18% von dem, was sie über das Internet bzw. die Internetnutzung wissen, von Lehrkräften gelernt zu haben (S. 14). 69% der 14- bis 24-Jährigen fühlen sich außerdem von der Schule nicht ausreichend auf ein Leben in der digitalen Zukunft vorbereitet (S. 98).

Gerade Lehrpersonen dürfen und sollten daher in dieser Hinsicht heutzutage noch viel umfangreicher aktiv werden, indem sie ihre eigene Vorbildfunktion deutlich im Sinne einer werteorientierten Medienerziehung urbar machen.

Wie dies in der Praxis erfolgreich funktioniert, zeigen der mebis-Artikel Werteorientierte Medienbildung in der Schule.

Lehrerin hält ein Tablet in der Hand, im Hintergrund stehen Schülerinnen und Schüler mit Tablets
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