KI | exemplarische Anwendungsbereiche
exemplarische Anwendungsbereiche von KI-Systemen
Mobbing an sich ist keine neue Erscheinung. Trotz vieler Überschneidungen mit Mobbing in der realen Welt nimmt die Ausgrenzung Einzelner im digitalen Zeitalter (Cybermobbing) eine andere Qualität und neue Dimension an.
Beim Cybermobbing oder Cyber-Bullying werden die Zielpersonen über Social-Media-Kanäle im Internet durch Text-, Bild- oder Videoinhalte verunglimpft, bloßgestellt, bedroht, gedemütigt oder durch permanente Belästigung bzw. durch Verbreitung von falschen Behauptungen gemobbt. Vorfälle, bei denen Jugendliche andere Personen zusammenschlagen oder zu sexuellen Handlungen zwingen, um sie mit dem Handy aufzunehmen und dies anschließend ins Internet zu stellen, gelten als besonders extreme Formen des Cybermobbings (Happy Slapping).
Kennzeichnend für Cybermobbing sind folgende Aspekte:
Cybermobbing-Attacken finden bevorzugt in sozialen Netzwerken (Communities), über Instant-Messaging-Dienste sowie auf Videoplattformen statt. Dort werden gemeine Botschaften oder beleidigende Kommentare geschrieben, Hassgruppen gegründet, peinliche und manipulierte Fotos oder heimlich aufgenommene Videos veröffentlicht. Weiterhin charakteristisch ist das Anlegen von gefälschten Profilen, in denen unbeliebte Mitschülerinnen oder Mitschüler diffamiert und lächerlich gemacht werden.
Da in vielen Communities oftmals nahezu ganze Klassen vertreten sind, machen Gerüchte und kompromittierende Fotos zügig die Runde und werden zum Schulgespräch. Über digitale Kommunikationsmedien finden die Demütigungen schnelle und einfache Verbreitung und stehen fortan auch einer globalen Öffentlichkeit zur Verfügung.
Anfeindungen, Verleumdungen und Bedrohungen verfolgen das Opfer rund um die Uhr. Die Tat ist orts- und zeitunabhängig. Über die neuen Kommunikationsformen finden Angriffe auch nach Schulschluss kein Ende, es sei denn, man nutzt die digitalen Medien nicht.
Einmal veröffentlichte Einträge werden dauerhaft gespeichert und können somit beliebig oft kommuniziert werden. Selbst wenn Daten gelöscht werden, sind sie meist noch irgendwo abrufbar.
Der Täter bzw. die Täterin zeigt sich seinem Opfer oftmals nicht direkt und handelt anonym. Eine Face-to-Face Konfrontation findet häufig nicht statt. Da die Reaktionen des Opfers meist nicht sichtbar sind, ist dem Täter bzw. der Täterin das – z. T. strafbare – Ausmaß dieses Handelns oftmals nicht bewusst.
Das erste Gespräch findet auf Initiative der Mutter statt. Die Mutter schildert Kai – er ist 11 Jahre alt und besucht die 6. Klasse eines Gymnasiums – als freundlichen, kommunikativen, anständigen und leistungsmäßig guten Schüler. Das Problem seien vor allem zwei Mitschüler, mit denen Kai sich im letzten Schuljahr überworfen hat. Seit dieser Zeit würde er von den beiden gemobbt.
Fast jeden Tag, so sagt Kai im Gespräch, sei etwas geschehen. Er sei vor den anderen in der Klasse lächerlich gemacht worden, sei geschubst, beschimpft und beleidigt worden. Auf seinem Platz – zum Teil sogar in seine Hefte geschmiert – habe er entstellende Zeichnungen gefunden. Seine Sachen wurden beschädigt oder seien verschwunden, der Zugang zum Schülerschrank wurde ihm verwehrt. Über das unmittelbare Geschehen in der Klasse hinaus gab und gebe es Belästigungen durch Anrufe und Nachrichten auf sein Handy.
Ende des letzten Schuljahres sei in einem gängigen sozialen Netzwerk im Internet ein Profil von Kai als Mädchen mit einem beleidigenden Namenszusatz erschienen, später wurde ein Bild mit zwei sich küssenden männlichen Schaufensterpuppen hinzugefügt. Von diesem Profil aus wurden beleidigende, „sexualgeladene“ Nachrichten an Klassenkameraden verschickt, so dass der Verdacht auf ihn gefallen sei. Wie er von einer Klassenkameradin erfahren habe, sei auch im Chatroom über ihn hergezogen worden. Kai konnte weder zurückverfolgen, wer das Profil angelegt hatte, noch wer im Chatroom gegen ihn aktiv geworden war. Vor allem diese Anonymisierung stelle für ihn eine große Belastung dar. Auch eine Löschung des Profils sei nicht ohne Probleme möglich, da es nicht von ihm selbst erstellt worden sei. Er werde in der Klasse vor allem von den Jungen mehr und mehr zurückgewiesen, die Mädchen hielten sich eher raus.
Eigentlich sei er jetzt ziemlich allein, er wüsste auch gar nicht, wem er sich noch anschließen könnte. Der Versuch von Kais Eltern, durch Gespräche mit den Eltern der anderen Jungen eine „friedliche Lösung“ herbeizuführen, ist laut Angaben der Mutter gescheitert. Auch Gespräche mit den beiden Jungen in der Schule hätten nur vorübergehend eine Beruhigung ergeben. Das Anliegen von Mutter und Kai, die beide hilflos und verzweifelt wirken, ist, dass der Junge endlich in Ruhe gelassen wird und sich wieder auf andere Dinge, zumal das Lernen, konzentrieren kann.
Schulleiterin und Schulpsychologe führen gemeinsam ein Gespräch mit den Akteuren. Den Schülern wird deutlich gemacht, dass gegenseitige Provokation und Mobbing in keiner Form geduldet werden. Für den künftigen Umgang miteinander werden die Vorschläge der Beteiligten berücksichtigt. Da sie sich einsichtig und kooperativ zeigten, wird auf Ordnungsmaßnahmen verzichtet, allerdings werden solche für den Fall neuer Vorkommnisse in Aussicht gestellt. In den folgenden 10 Wochen werden keine Verstöße gegen die verabredeten Regeln bekannt.
Auf Anraten der Schule erstattet die Familie bezüglich des Cybermobbings Anzeige bei der Polizei. Diese führt eine Befragung der Schüler durch, die auf die Mitschülerinnen und Mitschüler beeindruckend wirkt, und kann in diesem Fall die Löschung der Seiten bewirken.
Zur Stabilisierung des Betroffenen führt der Schulpsychologe in den folgenden Monaten regelmäßig Gespräche mit Kai.
Dieses Fallbeispiel aus dem Praxisleitfaden “Mit Mut gegen Mobbing” zeigt, welche Rolle moderne Medien bei Mobbingfällen spielen können:
Im Schulalter treten Mobbingvorfälle selten ausschließlich im Bereich der modernen Medien auf. Meist werden die schulischen Attacken durch Angriffe in der virtuellen Welt auf den Freizeitbereich ausgedehnt. Das Fallbeispiel mit Cybermobbingkomponente stellt eine typische Konstellation vor.
Betroffener Schüler: Kai | Schule: Gymnasium
Ort des Geschehens: Schule und Internet
Jahrgangsstufe: 6
Täter: anfangs zwei Klassenkameraden
Mitläufer: Mädchen
Sympathisanten des Opfers: einige männliche Mitschüler
Eltern des Opfers: Unauffälliges Elternhaus
(Quelle: "Mit Mut gegen Mobbing - Ein Leitfaden für die Schulgemeinschaft”, ISB, 2012, vergriffen)
Der Trend zum Rufmord im Cyberspace ist unverkennbar: Immer mehr Schülerinnen und Schüler sind von Cybermobbing-Attacken betroffen. Seit 2017 ist die Anzahl der Betroffenen um gut ein Drittel gestiegen, von 12,7 % in 2017 auf 17,3 % in 2020. Bei insgesamt 11 Millionen Schülerinnen und Schülern in Deutschland bedeutet dies, dass 2020 rund 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche Opfer von Mobbing wurden, das sind 500 000 mehr als im Jahr 2017.
Besorgniserregend ist der Umstand, dass nach Aussage der Eltern bereits jedes zehnte Grundschulkind Opfer von Cybermobbing gewesen ist, so die Ergebnisse der 3. bundesweiten Studie zum Thema Cyberlife/Cybermobbing 2020 des Bündnisses Cybermobbing in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse.
Auch in der repräsentativen JIM-Studie 2021 geben 47 % der Jugendlichen (12-19-Jährige) an, im letzten Monat mit beleidigenden Kommentaren konfrontiert worden zu sein. Dabei sind Mädchen geringfügig stärker betroffen als Jungen. Im Vergleich zu den Ergebnissen von 2020 sind die Anteile in allen Bereichen (Hassbotschaften, extreme politische Ansichten, Verschwörungstheorien, beleidigende Kommentare und Fake News) gestiegen.
2020 haben insgesamt 38 % der Befragten, 45 % der Mädchen und 32 % der Jungen, in ihrem Umfeld schon einmal mitbekommen, dass jemand im Internet absichtlich fertig gemacht wurde. 11 % geben an, dass sie selbst schon einmal Opfer einer solchen Attacke wurden, wobei Mädchen (15 %) häufiger betroffen sind als Jungen (8 %).
Cybermobbing ist demnach kein Randphänomen mehr. Auseinandersetzungen im Freundes- und Bekanntenkreis verlagern sich zunehmend in die digitalen Medien, vor allem in das Internet. Insbesondere Smartphones in Verbindung mit Instant Messaging Diensten (z. B. WhatsApp) und Soziale Netzwerken (z. B. TikTok) sind zentrale Medien(orte) für Cybermobbing.
Wer andere beleidigt, verleumdet, nötigt, bedroht, erpresst oder nachstellt begeht eine Straftat. Ob dies von Angesicht zu Angesicht oder im Internet bzw. über das Smartphone geschieht spielt dabei kaum eine Rolle. Wie viele Personen darauf Zugriff haben ist für die Höhe der Strafe wichtig.
Das Kunsturheberrechtsgesetz sichert die Rechte am eigenen Bild. Werden laut Strafgesetzbuch Bilder im sehr persönlichen Lebensbereich ohne Erlaubnis angefertigt, liegt eine Straftat vor. Wer kinderpornografisches Material besitzt oder verbreitet, muss mit einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr rechnen.
Bei Cybermobbing werden häufig einzelne oder mehrere dieser Persönlichkeitsrechte verletzt und können dementsprechend zur Anzeige gebracht werden. Klicksafe hat unter dem Themenbeitrag „Cybermobbing – Was sagt das Gesetz?“ die entsprechenden Gesetzestexte für den Bereich Cybermobbing aufgeführt und ausgelegt. Im Folgenden sind diese Auslegungen nachzulesen.
Wer eine andere Person beschimpft, beleidigt oder anderweitig durch Äußerungen oder Handlungen in ihrer Ehre verletzt oder demütigt, macht sich strafbar.
Wer in sozialen Netzwerken oder Blogs Unwahrheiten über eine Person verbreitet oder Beleidigungen ausspricht, die dazu dienen, dem Ansehen der Person zu schaden, macht sich strafbar.
Wer einer anderen Person Gewalt oder anderweitigen Schaden androht, sofern diese einer Forderung nicht nachkommt, etwas zu tun, zu dulden oder etwas zu unterlassen, macht sich strafbar.
Wer eine andere Person bedroht, macht sich strafbar. Dazu gehört das Androhen von Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen Sachen von bedeutendem Wert. Das trifft auch zu, wenn man nicht die angesprochene Person bedroht, sondern jemanden, der ihr nahesteht (zum Beispiel die Familie).
Das Strafmaß erhöht sich, wenn man eine Person oder jemanden, der ihr nahesteht, mit einem Verbrechen bedroht (zum Beispiel mit Mord). Auch vorzutäuschen, dass ein Verbrechen bevorsteht, ist strafbar. Das Strafmaß erhöht sich weiterhin, wenn Drohungen öffentlich geäußert werden (zum Beispiel in sozialen Netzwerken oder in Chatgruppen).
Wer einer anderen Person Gewalt antut oder Schäden androht, um sich selbst oder einen Dritten zu bereichern, macht sich der Erpressung strafbar.
Ein Stalker bzw. eine Stalkerin sucht beharrlich gegen den Willen seines Opfers dessen Nähe auf. Dabei verwendet er Kommunikationsmittel, um den Kontakt zum Opfer herzustellen und es zu terrorisieren. Wer einer Person in diesem Sinne unbefugt nachstellt, macht sich strafbar.
Bilder und Videos dürfen nur verbreitet und veröffentlicht werden, wenn die abgebildete Person eingewilligt hat. Jeder Mensch kann grundsätzlich selbst darüber bestimmen, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihm/ihr veröffentlicht werden. Wer dagegen verstößt, kann bestraft werden.
Wer von einer anderen Person unerlaubt Tonaufnahmen herstellt, z. B. von einem Vortrag, der nur für einen kleinen Personenkreis – etwa die Klasse – gedacht war, macht sich strafbar. Das gilt umso mehr, wenn diese Aufnahmen weitergegeben und veröffentlicht werden. Schon die Verbreitung von Äußerungen in (nicht-öffentlichen) Online-Chats kann strafbar sein.
Wer eine andere Person in deren Wohnung oder in einer intimen Umgebung, etwa in der Dusche, in der Toilette oder der Umkleide, heimlich fotografiert oder filmt, macht sich strafbar. Das gilt umso mehr, wenn solche Aufnahmen weitergegeben und veröffentlicht werden.
Das Strafgesetzbuch verbietet zwar, verschlossene Briefe oder Schriftstücke zu öffnen oder zu lesen, jedoch betrifft dies nicht das Lesen von E-Mails, sodass die Verletzung des Briefgeheimnisses im Online-Bereich nicht greift.
In diesem Zusammenhang lässt sich jedoch ein Paragraph zum „Ausspähen von Daten“ hinzuziehen. Die Daten müssen allerdings im Vorfeld „gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert“ sein. Demnach machen sich Personen strafbar, die unberechtigterweise eine verschlüsselte E-Mail lesen oder sich unrechtmäßig das Log-in-Passwort einer anderen Person verschaffen.
Wer einer Person unter 18 Jahren eine pornografische Schrift anbietet oder überlässt, an einem Ort, der Personen unter 18 Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe belegt.
Wer Fotos oder Videoclips von unter 14-jährigen Personen besitzt, sich verschafft oder weiterleitet, in denen deren Genitalien in eindeutiger Weise positioniert oder sexuelle Handlungen abgebildet sind, begeht ein Verbrechen. Wird es der Polizei bekannt, muss diese Ermittlungen und Strafverfolgung einleiten, unabhängig davon, ob die Person, die auf dem Foto oder Videoclip abgebildet ist, selbst Strafanzeige stellt.
Auch das Anfertigen von Screenshots sowie der Besitz weitergeleiteter Bilder oder Videos, um einen Mobbing-Fall zu dokumentieren oder Beweise zu sichern, wenn die Aufnahmen als kinderpornografischer Inhalt einzuordnen sind, ist strafbar. Darunter fallen auch Abbildungen eines „teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Damit ist auch Besitz, Verbreiten oder sich verschaffen von Abbildungen, auf denen zum Beispiel der Genitalbereich bedeckt ist, aber das Kind in „aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung“ zu sehen ist, ein Verbrechen.
Für die Einordnung als kinderpornografischer Inhalt ist es unerheblich, ob die Aufnahmen von der abgebildeten Person selbst angefertigt wurden. Auch freiwillig selbst aufgenommene Bilder und Videos von Personen unter 14 Jahren sind kinderpornografischer Inhalt und das Erstellen, der Besitz, die Verbreitung dieser Aufnahmen und alle Versuche sich diese Aufnahmen zu verschaffen, sind Verbrechen, die mit mindestens einem Jahr Gefängnis bestraft werden.
Bei Cybermobbing liegt häufig ein Straftatbestand vor, weil folgende Gesetze verletzt werden.
Feierabend Sabine, Rathgeb Thomas, Kheredmand Hediye, Glöckler Stephan (2021): JIM-Studie 2021. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, Stuttgart. In Url: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2021/JIM-Studie_2021_barrierefrei.pdf [aufgerufen am 16.06.2022]
Rathgeb Thomas, Schmid Thomas (2020): JIM-Studie 2020. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, Stuttgart. In Url: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf [aufgerufen am 16.06.2022]
Klicksafe.de. Cybermobbing.
https://www.klicksafe.de/cybermobbing [aufgerufen am: 16.06.2022]
Saferinternet.at (2021): Unterrichtsmaterial – Aktiv gegen Cyber-Mobbing. Österreichisches Institut für angewandte Telekommunikation, Wien. In Url: https://www.saferinternet.at/fileadmin/categorized/Materialien/Aktiv_gegen_Cyber_Mobbing.pdf[aufgerufen am 16.06.2022]
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2020). Mit Mut gegen Mobbing. Ein Leitfaden für die Schulgemeinschaf, München.
https://www.isb.bayern.de/foerderschulen/materialien/handreichung_mobbing/[aufgerufen am: 16.06.2022]
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