Abstumpfung und Verrohung - ein Thema der Medienethik?!
(Hinter-)Gründe, Beispiele und konkrete Tipps für den Umgang mit diesem Phänomen im Unterricht werden aufgezeigt.
Bei der Vermittlung von Medienkompetenz taucht unweigerlich die Frage nach den Risiken und Gefahren auf, die durch die Nutzung digitaler Medien entstehen. Im Unterricht kann hier wertvolle Präventionsarbeit geleistet werden. Hierbei bietet die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „digitalen Ethik“ sowie mit den „10 Geboten der digitalen Ethik“ eine Grundlage, von der ausgehend unter anderem mediale Gefahren und Risiken thematisiert werden können.
Der folgende Beitrag kategorisierte die Risiken in drei Bereiche: „Aggression/ Gewalt sowie Sexualität und Werte“. Es wird ein kurzer Überblick über die aktuelle Datenlage zum Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen sowie der daraus entstehenden Risiken gegeben. Bezogen auf diese Ergebnisse lassen sich drei ethische Fragestellungen ableiten. Als Abschluss finden sich Hinweise zu Materialien, die verdeutlichen, wie diese Fragestellungen im Unterricht aufgegriffen und behandelt werden können.
Ein äußerst umfassendes und etabliertes Konzept zur Einordnung digitaler Risiken ist auf Livingstone u.a. zurückzuführen. Es handelt sich um das so genannte „3-C-Modell digitaler Risiken“, welches auf das „4-C-Modell“ erweitert wurde (vgl. Biesel u.a., 2023; Livingstone/Stoilova, 2024; Livingstone u.a. 2024; Schaumburg, 2024).
Das „4-C-Modell“ unterscheidet vier Bereiche der Risikoentstehung.
Content: Kinder/ Jugendliche als empfangende Personen
Contact: Kinder/ Jugendliche als teilnehmende Personen
Conduct: Kinder/ Jugendliche als handelnde Personen
Contract: Kinder/ Jugendliche als Vertragspartnerinnen und Vertragspartner
Des Weiteren wird zwischen folgenden Risikoarten unterschieden:
Aggression/ Gewalt
Sexualität
Werte
Somit nimmt das Modell eine große Bandbreite an möglichen Risiken in den Blick.
Durch eine wachsende Mediatisierung verlagert sich die Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen zunehmend in das Internet und analoge sowie digitale Erfahrungen und Lebenswelten lassen sich nicht mehr getrennt voneinander betrachten (vgl. Bieß/ Stapf 2023).
Die Daten der JIM-Studie (2023) sowie der KIM-Studie (2022) untermauern die Aussage einer veränderten und digitalisierten Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen:
Die JIM-Studie liefert zum Medienkonsum Jugendlicher folgende Daten:
96% aller befragten Jugendlichen besitzen ein Smartphone.
93% aller befragten Jugendlichen nutzen das Smartphone täglich/ mehrmals in der Woche.
Das Smartphone belegt bei den benutzten Geräten Platz 1.
Die tägliche Bildschirmzeit nimmt mit dem Alter zu:
12-13jährige: 121 Minuten täglich
16-17jährige: 250 Minuten täglich.
Laut der KIM-Studie ergibt sich für Kinder folgende Datenlage:
Jedes 2te befragte Kind nutzt täglich ein Smartphone.
Mit dem Alter nimmt die Zahl der Kinder zu, die ohne Aufsicht im Internet surfen:
30% der 6-7jährigen surfen ohne Aufsicht.
79% der 12-13jährigen surfen ohne Aufsicht.
Aus Perspektive der Heranwachsenden und Eltern ergibt sich folgendes Bild:
Mit dem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder und Jugendliche angsteinflößende Dinge im Internet gesehen haben. Von 2017 bis zu 2022 ist ein Anstieg um 17 Prozentpunkte festzuhalten.
Ebenso steigt die Tatsache, dass sie online gemobbt werden. Dieser Wert ist sogar um 25 Prozentpunkte gestiegen und hat sich damit mehr als verdoppelt.
Eltern befürchten zu 50%, dass ihre Kinder mit nicht angemessenen und verstörenden Inhalten in Kontakt kommen.
Die größte Sorge (36%) der Kinder ist, dass sie von anderen gemobbt werden.
12% der befragten Kinder sind bereits auf Inhalte im Internet gestoßen, die ihnen unangenehm waren, die ihnen Angst gemacht haben oder für die sie sich zu jung gefühlt haben.
Die Begegnung mit Fake News ist auch im Vergleich zum Vorjahr führend und liegt bei 58%; beleidigende Kommentare sowie Hassbotschaften im Netz haben im Vergleich zu 2022 ebenfalls zugenommen. Verschwörungstheorien und extrem politische Ansichten sind minimal rückläufig.
Fasst man die Befunde der Mediennutzung der Heranwachsenden zusammen, ergeben sich Gefahren, die sich auf alle drei Risikobereiche beziehen. Daraus wiederum lassen sich drei ethische Fragestellungen ableiten:
Wie unterscheide ich echte von unechten Informationen und Darstellungen?
Wie schütze ich mich vor ungewollten und angstmachenden Inhalten?
Welche Regeln der Kommunikation gelten online?
Bei der Umfrage zum Jugendmedienschutzindex 2022 wurden Kinder und Jugendliche nach ihrer Selbsteinschätzung bzgl. ihrer sicherheitsrelevanten Online-Fähigkeiten befragt. Viele geben an, über diese Fähigkeit zu verfügen. So können beispielsweise 78% andere Personen von ihrer Kontaktliste entfernen und 77% der Befragten wissen, wie ein Screenshot funktioniert, um mögliche Beweise vorweisen zu können. Bei den allgemeinen Online-Fähigkeiten ist im Vergleich zu 2017 eine Zunahme zu verzeichnen. Ausbaufähig ist der Bereich „Fake News“. 39% geben an, Informationen nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt beurteilen zu können. Ein ähnlicher Anteil der Befragten (40%) weiß nicht, wie man digitale Medien sicherer machen kann, um sich beispielsweise vor ungewollten Inhalten zu schützen (vgl. Gebel u. a., 2024).
Eine qualitative Befragung von Frense (2020) ergibt, dass Kindern und Jugendlichen die Auseinandersetzung mit folgenden Themen sehr wichtig ist:
Sie möchten vor gewalthaltigen und verstörenden Inhalten geschützt werden.
Chats, die bei ihnen besonders beliebt sind, sollten besser kontrolliert oder moderiert werden, um unpassende Kommunikationsverläufe früher zu unterbrechen.
Sie möchten früh mit Medienerziehung beginnen, um mit den Risiken besser umgehen zu können.
Die Aussagen von befragten Kindern und Jugendlichen bestätigen somit die zu Beginn genannten ethischen Fragestellungen. Diese finden sich auch in den von 10 Geboten der digitalen Ethik (vgl. Engel u. a. , 2024) wieder:
Wie unterscheide ist echte von unechten Informationen => Gebot Nr. 3
Wie schütze ich mich vor ungewollten, angstmachenden Inhalten => Gebot Nr. 7
Welche Regeln der Kommunikation gelten online? => Gebot Nr. 5
Es gibt bereits eine Vielzahl an Materialen für die Präventionsarbeit an Schulen. Im Folgenden werden exemplarisch Materialien vorgestellt, die einen Bezug zu den genannten drei Fragestellungen haben.
Ethik macht klick - Meinungsbildung in der digitalen Welt
Grundlage für die 12 vorgestellten Projekte ist eine medienethische Roadmap. Anhand derer werden die unterschiedlichen Medienkompetenzen (Sach-, Sozial- und Methodenkompetenz) sowie die ethische Kompetenz von Kindern und Jugendlichen geschult. Alle Projekte befassen sich im weitesten Sinne mit den Themen „Fake News, Verschwörungstheorien und Desinformation“. Je nach Jahrgangsstufe werden die Themen unter anderem anhand von Fallbeispielen, Arbeitsblättern, Videos oder Grafiken vermittelt.
Zielgruppe: 4. bis 13. Jahrgangsstufe
Fach: unabhängig
Fakes und Desinformation im Netz erkennen
Im Rahmen dieser Unterrichtseinheit wird das Ziel verfolgt, dass Schülerinnen und Schüler lernen, welche Absichten hinter Fakes stecken und welche Tricks bei der Erstellung von Fakes häufig verwendet werden. Dadurch wird es ihnen erleichtert, Fakes schneller zu erkennen. Zur Verfügung stehen dazu zwei Arbeitsblätter, ein Video sowie ein Online-Quiz.
Zielgruppe: 5. bis 13. Jahrgangsstufe
Fach: Deutsch, Ethik, Sozialkunde
Fake News – Gibt es erlogene Nachrichten?
Ziel dieser Unterrichtseinheit ist es, dass die Schülerinnen und Schüler ein erstes Bewusstsein für Fake News entwickeln und bewusster mit dem Teilen von Nachrichten umgehen. Für die Umsetzung dieser Unterrichtseinheit gibt es ein Erklärvideo sowie ein Arbeitsblatt.
Zielgruppe: 3. bis 4. Jahrgangsstufe
Fach: Deutsch, Heimat- und Sachunterricht
Fakt oder Fake?
Hier sollen die Schülerinnen und Schüler einzelne Informationsquellen nach ihrer Glaubwürdigkeit bewerten und erarbeiten Tipps für die Bewertung von Online-Quellen. Die Unterrichtseinheit steht in zwei Differenzierungsstufen zu Verfügung und beinhaltet neben den Stundenverläufen (digitale) Arbeitsblätter, Tafelbilder und ein Video.
Zielgruppe: 5. bis 7. Jahrgangsstufe
Fach: unabhängig
Durchs Jahr mit klicksafe
Ziel der 12 Unterrichtseinheiten ist die Schulung der Medienkompetenz in allen Kompetenzbereichen. Einheit 12 (Sicherheit in sozialen Netzwerken) sowie das Zusatzprojekt (Checkst du dein Handy) schulen die Kinder und Jugendlichen darin, (Selbst-)Schutzeinstellungen bei sozialen Medien vorzunehmen und sie lernen nützliche Funktionen und Sicherheitseinstellungen ihres Handys kennen. Zur Verfügung stehen hierzu unterschiedliche Arbeitsblätter und Zusatzmaterialien anderer Anbieter.
Zielgruppe: 4. bis 6. Jahrgangsstufe
Fach: unabhängig
Hate Speech
Für alle Jahrgangsstufen ist hier eine Materialsammlung zu den Themen Hate Speech und Cyber-Mobbing zu finden.
Zielgruppe: 3. bis 13. Jahrgangsstufe
Fach: unabhängig
Medienteilkompetenz: 3.4
Kommunikation im Netz
Hier sind mehrere Unterrichtsmodule und -impulse für die Grundschule zum Thema „Kommunikation im Netz“ zu finden. Die Beispiele und Materialien für die weiterführenden Schulen beschäftigen sich mit den Themen „Hass im Netz“, „Cybermobbing“ und „Hass in der Demokratie“. Alle Arbeitsmaterialien sind sehr vielfältig von Arbeitsblättern, über Spielen bis hin zu Videos und Filmen.
Zielgruppe: 3. bis 13. Jahrgangsstufe
Fach: Deutsch, Ethik, Englisch (GS nur Deutsch)
Ethik macht klick – Werte-Navi fürs digitale Leben
In den drei Bausteinen „Privatsphäre und Big Data“, „Verletzendes Online-Verhalten“ und „Mediale Frauen- und Männerbilder“ erhalten Lehrkräfte viele Hintergrundinformationen und Arbeitsmaterialien. Die Frage nach Kommunikationsregeln im Netz wird vor allem in dem zweiten Baustein aufgegriffen.
Zielgruppe: 7. bis 13. Jahrgangsstufe
Fach: unabhängig
(Hinter-)Gründe, Beispiele und konkrete Tipps für den Umgang mit diesem Phänomen im Unterricht werden aufgezeigt.
Der Beitrag erläutert Chancen und Risiken der algorithmenbasierten Konzepte Learning Analytics und Classroom Analytics.
Es werden drei auf Risiken basierende ethische Fragestellungen aufgezeigt und Praxistipps gegeben, wie diesen Gefahren präventiv entgegengewirkt werden kann.
Hier finden Sie Hintergrundinformationen und Unterrichtsmaterialien zu Benachteiligungen aufgrund von algorithmisch geprägten Entscheidungen.
Der Beitrag liefert einen Überblick über Chancen und Risiken von smarten Geräten und digitalen Sprachassisstenten im Kinderzimmer sowie Smartwatches.
Gamification: Wie lassen sich ethische Fragestellungen im Unterricht spielerisch thematisieren?