Zu Inhalt springen Zu Fußbereich springen

Erklärvideos lernförderlich gestalten

„Film ab und losgelernt!” - Anhand mediendidaktischer Prinzipen und der kognitiven Theorie multimedialen Lernens (CTML) wird aufgezeigt, wie Sie durch Erklärvideos Lernende in deren Lernprozess optimal unterstützen können. Dieser Beitrag bietet zudem Tipps und Umsetzungsbeispiele für gute Erklärvideos.

Gestaltungstipps

In den letzten Jahren haben Erklärvideos als Medium einen viel höheren Stellenwert erlangt, da sie durch ihre Verbreitung auf Videoplattformen und in Social Media-Kanälen eine breite Reichweite erzielen. Sie kombinieren den visuellen und auditiven Kanal und stellen somit ein multimediales Medium dar. Im Vergleich zu klassischen Medien sind sie damit eine äußerst effektive Möglichkeit, um Informationen verständlich und ansprechend zu vermitteln.

Wenn Inhalte multimedial aufbereitet vermittelt werden und dabei mediendidaktische Prinzipien berücksichtigt sind, können Schülerinnen und Schüler Informationen in kürzerer Zeit erfassen. Erklärvideos sind dabei ähnlich wie Vorträge, da der Prozess der Erklärung als eine einseitige Kommunikation zwischen dem Experten und den Zuhörenden betrachtet werden kann.

Um Inhalte in Erklärvideos optimal darzustellen, sollten Sie folgende Hinweise berücksichtigen:

Bilder unterhalb dieses Akkordeons ändern sich je nach offenem Akkordeon Eintrag.

Bilder und Audioinformationen sollen in kurzer zeitlicher Abfolge gezeigt werden (zeitliche Kontiguität). Dadurch muss das Gehirn nicht lange Informationen im Gedächtnis behalten und es fällt leichter, sie zu verarbeiten. Im Vergleich zu Druckmedien, bei denen nur Bilder und Text verwendet werden, sprechen Erklärvideos mehr Sinne an, da zusätzlich gesprochene Informationen den auditiven Kanal bedienen.

Die Einblendung von genannten Fachbegriffen in Textform bei gleichzeitiger verbaler Nennung bekannter Begriffe kann lernhinderlich sein, weil es dann zu Redundanzeffekten kommt. Die gleichzeitige Nutzung beider Kanäle erfolgt unnötig. Die auditive Darbietung der Erklärung zu komplexen Darstellungen, wie Diagrammen, hat einen Vorteil gegenüber der rein schriftlichen Darstellung.
Zudem kann signalling innerhalb der bildlichen Darstellung die Verarbeitung der Inhalte unterstützen und den Fokus lenken.

Neben der Informationsvermittlung über gesprochenen Text, ist auch das Vorhandensein von menschlichen Stimmen lernrelevant. Sie lösen beim Betrachten des Lernvideos Emotionen aus und können so die Aufmerksamkeit erhöhen und die Authentizität steigern.
Computergenerierte Stimmen, die bei Text-to-speech-Anwendungen zum Einsatz kommen, sollten bei der Erstellung von Erklärvideos vermieden werden.
Mit fiktiven Akteuren, die durch das Erklärvideo führen, kann außerdem eine authentische Situierung geschaffen werden und damit die Identifikation und die Relevanz eines Sachverhaltes, der im Erklärvideo thematisiert wird, verdeutlicht werden.

Auch die Segmentierung des Videos in einzelne Sinnabschnitte wirkt sich auf die Lernwirksamkeit aus, indem Lernende einen besseren Überblick über den Verlauf des Videos erlangen.
Durch die Wahl von Sprungmarken oder die Erstellung eines Inhaltsverzeichnisses, das das Video segmentiert, kann einem Erklärvideo zusätzlich Struktur gegeben werden. Dadurch kann die fehlende Gliederungsfunktion erzeugt werden, die es in Texten durch Kapitel und Absätze gibt.

Einteilung von Erklärvideos

„Erklärvideos werden […] als Filme aus Eigenproduktion definiert, in denen erläutert wird, wie man etwas macht oder wie etwas funktioniert bzw. in denen abstrakte Konzepte und Zusammenhänge erklärt werden“.

In der mebis Mediathek und mebis Tube können Sie verschiedene Varianten an Erklärvideos finden! Folgende drei Subtypen werden in diesem Beitrag weiter ins Auge gefasst:

Screenshot Legetrick Explainity

Lege(trick)technik oder Stop Motion

Videos in Legetechnik sind dadurch charakterisiert, dass Elemente in die Bildfläche gelegt und wieder entfernt werden. Die Abbildungen im Piktogramm-Stil illustrieren den Sprechertext.

(Video-Quelle: explainity GmbH)

Screenshot Konstruktion Enders

Video-Tutorial

Tutorials sind vor allem auf Videoplattformen sehr populär. Charakterisiert sind die Filme durch eine Erklärung eines Sprechers, die (meist zeitgleich) einen Handlungsablauf zeigt, der nur in einer Kameraeinstellung aufgenommen wurde.

(Video-Quelle: Michael Enders)

Screenshot Reaktionsgleichung Dukorn

Screencast / vertonte Präsentation

Bei Screencasts wird ein bestimmter Sachverhalt, z. B. die Lösung einer konkreten Problemstellung kommentiert, während die Displayfläche (Screen) eines digitalen Gerätes zur Darstellung genutzt wird.

(Video-Quelle: Wolfgang Dukorn)

Vorüberlegungen zur Erstellung von Erklärvideos

Aufgrund der Vielfalt an Erklärvideos sind Vorüberlegungen zur verständlichen Erstellung bereits vor der Produktion sinnvoll. Je nach Art der Inhalte sind unterschiedliche Erklärvideo-Typen besser geeignet.

Bei der Gestaltung muss vorausschauend auf folgende Aspekte geachtet werden, um ein mitunter zeitaufwändiges Nacharbeiten zu vermeiden:

  • Kameraperspektive und Ausleuchtung

  • notwendige Schnitte innerhalb des Videos (Postproduktion)

  • Hintergrund

Perspektive und Design haben einen signifikanten Einfluss auf den Lernerfolg der Rezipienten. Schnitte oder Brüche können zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses und zur Ablenkung des Betrachtenden führen.
In Videos können Informationen in höherer Geschwindigkeit transportiert werden. Inhaltlich kann eine zu hohe Informationsdichte im Video durch die Flüchtigkeit der Inhalte aber auch lernhinderlich sein.
Die erwähnten Subtypen bieten den Vorteil, dass sie aufgrund der statischen Kameraperspektive eine klare, ablenkungsfreie Struktur und Umgebung bieten und damit das Arbeitsgedächtnis weniger belasten.

Begrenzen Sie den Cognitive Load:

  • Screenshot Konstruktion Enders
    Quelle: Michael Enders

    Point of View (POV)

    Werden in Tutorials beispielsweise Klickanleitungen präsentiert, ist es lernförderlich, wenn die Darstellungposition mit der späteren Blickrichtung des Betrachtenden deckungsgleich ist. Das verringert den Cognitive Load, weil die Tätigkeit nicht erst gedanklich gespiegelt werden muss und somit ein Schritt beim Verarbeitungsprozess entfällt.

  • Screenshot Legetrick Explainity
    Quelle: explainity GmbH

    Handlungen aus der Perspektive der Lernenden

    Auch Legetrick-Videos sind lernförderlich, weil bei ihnen die gezeigten Handlungen aus der Lernendensicht gezeigt werden. So können Inhalte und Handlungen kognitiv direkt nachvollzogen werden und Verknüpfungen mit der Handlung leichter erfolgen. Die Lernenden schlüpfen beim Betrachten in die Rolle der ausführenden Person.

  • Screenshot Analyse Salz Haberl
    Quelle: Christian Haberl

    Die optimale Video-Länge

    Bild- und Tonspur eines guten Erklärvideos ergänzen sich ohne Redundanzen zu schaffen. Die Informationsdichte erhöht sich dadurch. In verschiedenen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass die optimale Videolänge maximal sechs Minuten beträgt. Inhalte, deren Erklärung mehr Zeit benötigt, müssen demnach in weitere Einzelvideos unterteilt werden. Zusätzlich eingesetzte Lesezeichen können die Strukturierung und Navigation erleichtern.

Didaktischer Ort und Einbettung im Unterricht

  • Video Wechselwirkungsprinzip Richtberg
    Erklärung des Wechselwirkungsprinzips - Stefan Richtberg CC BY-SA 4.0 Stefan Richtberg

    Erklärvideo als Themeneinstieg

    Segers, Verhoeven und Hulstijn-Hendrikse konnten zeigen, dass mit hoher Anstrengung erworbenes Wissen dauerhafter im Gedächtnis bleibt als Inhalte, die das Arbeitsgedächtnis wenig belasten. Um in ein neues Thema einzusteigen, scheinen Erklärvideos aufgrund des Mangels an Vorwissen deshalb besonders geeignet, während bei zunehmend vertiefter Beschäftigung die Textarbeit an Bedeutung gewinnt.

  • Video Perfekt Passiv Triebel
    Beispiel Latein: Das Perfekt im Passiv - Sebastian Triebel CC BY-SA 4.0 Sebastian Triebel

    Flipped Classroom

    Im Flipped Classroom-Konzept spielen Erklärvideos die zentrale Bedeutung bei der Präsentation neuer Lerninhalte. Die Wissensvermittlung erfolgt dadurch nicht ortsgebunden. Erst die Übungsphasen werden von der Lehrkraft vor Ort moderiert. Da die Lehrkraft den Lernenden bekannt ist, reicht die auditive Wiedererkennung bei diesen Videos aus. Eine zusätzliche Einblendung der Lehrkraft im Video ist nicht nötig und bringt keine signifikant höheren Lernergebnisse.

  • Video 3-Kant Prisma Abschrägung Enders
    3-Kant-Prisma mit Abschrägung SA 3 TB - Michael Enders CC BY-SA 4.0 Michael Enders

    Instruktion

    Bei Handlungsanweisungen, wie z. B. bei der Verwendung von Hilfsmitteln im Mathematikunterricht oder bei Bastelanleitungen hat das Erklärvideo gegenüber der Demonstration einen Vorteil. Interaktionen, wie das Starten, Stoppen oder Wiederholen, sind möglich und können daher eine individualisierte Erarbeitung in Einzelschritten ermöglichen. Videos können zur Reduzierung von akkustischen Störungen im Klassenzimmer auch als stumme Videos gestaltet sein.

  • Video Koordinatenberechnung Schmidt
    Berechnung der Koordinaten von Punkten - Sebastian Schmidt CC BY 4.0 Sebastian Schmidt

    Individualisierung im Unterricht

    Tutorials können zur Differenzierung eingesetzt werden, indem schnelle Lernende in ihrem Tempo selbstständig weiterlernen können, während mehr Zeit auf die Betreuung von Lernenden mit höherem Unterstützungsbedarf bleibt. Durch die Möglichkeit des Vor- und Zurückspringens innerhalb des Videos bekommen auch schwächere Lernende zusätzlich Unterstützung.

  • Video Schwänzeltanz Haberl
    Erklärvideo zum Schwänzeltanz - Christian Haberl CC BY-SA 4.0 Christian Haberl

    Problemorientiertes Lernen

    Erklärvideos eignen sich, um Orte, die außerhalb des Schulgebäudes liegen, erlebbar zu machen. Werden Erklärvideos für situiertes Lernen im problemorientierten Unterricht eingesetzt, ist es für die Lernenden motivierender, wenn sie direkt angesprochen werden. Gerade bei jüngeren Lernenden kann es im Sinne des Modelllernens auch sinnvoll sein, eine Identifikationsfigur mit Wiedererkennungswert die jeweilige Situation erleben zu lassen.

  • Video Stop Motion Projekt Haberl
    Kurs "Medienprojekt Stop Motion" © Christian Haberl

    Lernproduktgestaltung

    Bei der produktiven Erstellung von Erklärvideos durch Lernende selbst können neben der Vertiefung fachlichen Verständnisses auch die Medienkompetenz und das Autonomieerleben gesteigert werden. Dabei werden sich die Lernenden bei wiederholter Betrachtung der Produkte der lernförderlichen Aspekte der Erklärvideos in besonderem Maße bewusst. Dieser Perspektivwechsel kann dabei unterstützen, dass Lernende gezielter aus der Vielzahl an Erklärvideos auswählen können.

Es konnte gezeigt werden, dass Studioproduktionen keinen Vorteil gegenüber informell erstellten Erklärvideos haben, solange die Tonqualität gut ist. Diese Erkenntnis lässt Erklärvideos aus Schülerhand auch für den Einsatz als schnell erstelltes Lernprodukt in Gruppenarbeiten durchaus sinnvoll erscheinen. Bei der Auswahl von Erklärvideos für den Unterricht sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Lernende Sprecher mit erwachsenen Stimmen kompetenter einschätzen als solche mit Kinderstimmen.

Hürden beim Lernen mit Erklärvideos

  • Zeit

    Linearität und Informationsflut

    Erklären Sie langsam und strukturiert!

    Da bei Erklärvideos Information möglichst kohärent lediglich in eine Richtung zum Lernenden fließt, kann es aufgrund des Fehlens der Rückfragemöglichkeit zu Problemen bei der Verarbeitung der Inhalte kommen. Ist die Erklärgeschwindigkeit zu hoch, können bei Lernenden Elaborationsprozesse noch nicht abgeschlossen sein, während bereits die nächsten Inhalte präsentiert werden. Durch Erhöhung der Interaktivität an Schlüsselstellen kann dem begegnet werden.

  • Kompass

    Sichere Navigation trotz Flüchtigkeit der Inhalte

    Ermöglichen Sie den Lernenden selbstgesteuert zu agieren!

    Ein nicht zu unterschätzender Nachteil von Videos im Vergleich zu Texten ist die Flüchtigkeit der Inhalte. Ablenkungen während des Betrachtens eines Videos führen unweigerlich zum Verpassen von Inhalten. Deshalb müssen Lernende möglichst viel Kontrolle durch Navigationselemente bekommen. Deren Benutzung belastet allerdings ebenfalls das Arbeitsgedächtnis.

  • Diversität

    Individuelle Unterschiede bei Lernenden

    Berücksichtigen Sie die Zielgruppe!

    Nicht alle beschriebenen Effekte helfen Lernenden gleichermaßen. Während es bei schwachen Lernenden schnell zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses kommen kann, gibt es bei Lernenden mit großem Vorwissen den „Expertise-Umkehr-Effekt“. Hervorhebungen und detailreiche Erklärungen können für schwache Lernende demnach hilfreich sein, für Lernende mit viel Vorwissen aber das Arbeitsgedächtnis unnötig belasten.

  • Barriere

    Barrieren

    Denken Sie an eine barrierefreie Anwendung!

    Für körperlich beeinträchtigte Personen kann die Betrachtung von Erklärvideos nach mediendidaktischen Gesichtspunkten problematisch sein, wenn die betrachtende Person nicht beide Sinneskanäle nutzen kann. Im Sinne der barrierefreien Gestaltung digitaler Medien kann es daher notwendig werden, gesprochenen Text trotz Redundanz als Untertitel oder begleitenden Text optional mit anzubieten.

Erklärvideo ist nicht gleich Unterricht

Erklärvideos ergänzen den Unterricht, können diesen aber nicht ersetzen. Erst die Interaktion mit den Inhalten, zu der Lehrende anleiten, führt zur Festigung des Wissens. Die Effizienz von Erklärvideos kann gesteigert werden, indem im Anschluss an die Wissensvermittlung kognitiv aktivierende Fragen zum Verständnis gestellt werden.

  • Screenshot Lerntagebuch und Video
    CC BY-SA 4.0 Christian Haberl

    Tipp

    Die Möglichkeit sich selbstständig Notizen während des Abspielens eines Videos anzufertigen, kann unterstützen. Die Lernenden sollten dabei möglichst wenig zwischen Bildschirmbetrachtung und Notizzettel hin- und herwechseln müssen, weil das ansonsten den split attention effect verstärkt und so das Arbeitsgedächtnis stärker belastet. In mebis bietet sich zur Reduzierung dieses Effektes die Einbettung des Videos in ein Info-Textfeld im Lerntagebuch an. Dort können dann direkt unterhalb des Videos auf demselben Bildschirm Notizen eingefügt werden während das Video läuft.

Weitere Beiträge

Alle ansehen (15)

Behaviorismus

Positives Feedback verstärkt erwünschtes Verhalten - auch beim Einsatz digitaler Medien

Vokabeln lernen

Multimediales Lernen von Vokabeln - zum Beispiel mit digitalem Karteikasten und der Aktivität „Glossar”

Kognitivismus

Lernen als Prozess der Informationsverarbeitung und die Bedeutung für den Unterricht mit digitalen Medien.

Lernförderliche Erklärvideos

Schlechter Ton und Bildqualität? Mehr Schülergespräch als Aufmerksamkeit? Mediendidaktische Hintergründe zur Gestaltung und dem Einsatz von Erklärvideos

Zu Seitenstart springen Über mebis