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Selbstgesteuertes Lernen an der Realschule Großostheim

Bei der Unterrichtsentwicklung ergeben sich durch die Einführung einer 1:1-Ausstattung neue Möglichkeiten der Alltagsgestaltung. Eine Schule kann sich in diesem Kontext dazu entschließen, auf selbstgesteuertes Lernen zu setzen und den Lernenden ein ganzes Stück Eigenverantwortung für den eigenen Lernprozess zu übertragen. Im folgenden Text erfahren Sie exemplarisch, wie an einer Realschule der Schwerpunkt in einigen Klassen auf das Konzept des selbstgesteuerten Lernens gelegt wurde, welche Erfahrungen die Schule damit gesammelt hat und wie Bedenken, die im Vorfeld bestanden, aus dem Weg geräumt werden konnten. 

„Mit dem diesjährigen Schuljahr entschloss sich die Realschule Großostheim in zwei ihrer 5. Klassen dazu, einen Fokus auf das selbstgesteuerte Lernen zu legen. Die 1:1-Ausstattung mit Endgeräten erlaubt es, die Lernenden zu Beginn einer Unterrichtssequenz mit dem benötigten Material zu versorgen. Hierbei sind die einzelnen Lernsequenzen in multimedialen, an den Lernstand und die Zielgruppe angepassten Lernheften aufgearbeitet. In einem festgelegten Zeitraum arbeitet die Klasse selbstgesteuert und eigenständig an den verschiedenen Aufgaben. Die Eigenverantwortung sowie die gezielte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten werden dabei geschult. Dadurch bekommt die Lehrkraft Zeit, um vermehrt auf einzelne Schülerinnen und Schüler einzugehen. Individuelle Probleme können besprochen und das Lernen des Einzelnen zielgerichtet begleitet werden.“ Jonas, Lehrer an einer Realschule

Ihre Schule hat Erfahrungen im Bereich „selbstgesteuertes Lernen“ gesammelt. Was hat Sie dazu motiviert? Woher haben Sie Ihren Input erhalten?

Nachdem im März 2020 die Schulen geschlossen wurden, mussten wir alle uns die Frage stellen, wie wir weiterhin die Kinder erreichen und zum Lernen in einer für uns alle schwierigen Situation motivieren können. Der Impulsvortrag von Valentin Helling, der Lernbegleiter an der AWS ist und beim ersten Hackathon #wirfürschule referierte, war ich direkt vom dort umgesetzten System begeistert und wollte auch meinen Lernenden ermöglichen, zumindest selbstgesteuert in ihrem eigenen Tempo zu lernen. Zahlreiche Studien belegen außerdem, dass Jugendliche in der Pubertät einen anderen Rhythmus haben, der meiner Meinung nach beim Lernen berücksichtigt werden sollte. Daher fing ich ab da an, mein Unterrichtsmaterial so aufzubereiten, dass dies dementsprechend genutzt werden konnte, was auch von der Lerngruppe gut angenommen wurde. 

  

„Meine Kinder können das nicht“ – was würden Sie dazu sagen?

Würde ein Elternteil oder eine Lehrkraft diesen Satz äußern, so würde ich sagen, dass darin ein „noch“ fehlt. Kinder, die bislang nur das traditionelle System gewohnt sind, brauchen manchmal etwas Zeit, um sich an das selbstgesteuerte Lernen zu gewöhnen. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten für mich als Lehrkraft, diese Kinder zu unterstützen und ihnen die Umstellung zu erleichtern. Eigentlich müsste der Satz demnach korrekterweise wie folgt lauten: „Meine Kinder können das noch nicht, aber mit Geduld und Unterstützung werden sie davon zukünftig profitieren.“

 

Welche Rolle können die mobilen Endgeräte dabei einnehmen?

  • © Realschule Großostheim

    Mobile Endgeräte unterstützen nicht nur mich als Lehrkraft in meiner Arbeitsweise, auch die Kinder können von deren Einsatz profitieren, da sich neue Möglichkeiten auftun, den einzelnen beim Lernprozess gezielt und unmittelbar zu unterstützen. Lerninhalte können nicht nur interaktiver und ansprechender gestaltet werden, was einen hohen motivationalen Faktor hat, sie ermöglichen auch eine Individualisierung im Hinblick auf die Bedürfnisse des Einzelnen. 

So erhalten die Lernenden einen permanenten Zugang zu digitalen Lernressourcen wie beispielsweise Lern-Apps, Lernspiele oder Online-Lernplattformen, die unter anderem direkt zurückmelden, ob eine Wortart korrekt bestimmt wurde; die anzeigen, ob der aufgestellte Rechenweg korrekt ist oder an welcher Stelle ein Fehler unterlaufen ist; die spielerisch Rechtschreibstrategien erarbeiten lassen und gezielt Aufgaben im Hinblick auf die begangenen Fehler bereitstellen; die helfen, mathematische Angaben in räumliche Bilder zu übersetzen, wenn diese Fähigkeit noch nicht ausreichend vorhanden ist. Außerdem vereinfachen sie durch die erhöhte Flexibilität die Kollaboration. Diese aufgeführten Beispiele stellen lediglich ein kleines Spektrum der Möglichkeiten dar, wie mobile Endgeräte Kinder und Jugendliche beim Prozess des selbstgesteuerten Lernens unterstützen können.

 

Wie organisieren Sie das konkret im Unterrichtsalltag?

Wenn eine Lerngruppe zum ersten Mal mit dem Prinzip des selbstgesteuerten Lernens in Berührung kommt, ist es wichtig, diese angeleitet heranzuführen. Für mich bedeutet das, ein hohes Maß an Transparenz zu schaffen, in dem ich zunächst detailliert erkläre, was selbstgesteuertes Lernen bedeutet, welche Erwartungen ich an die Lerngruppe habe, welche Vorteile, aber auch welche Gefahren ich sehe. Danach erhalten die Heranwachsenden einen Plan, der die Unterrichtssequenz abbildet und dem zu entnehmen ist, was in einer Unterrichtsstunde in etwa zu bearbeiten ist.

  • Dieser Plan dient ausdrücklich nur als Orientierung, ist aber gerade für schwächere Schülerinnen und Schüler von Bedeutung, damit diese den Anschluss nicht verlieren. Lernende, die sich mit dem Themengebiet leichttun, arbeiten den Plan schneller durch, andere benötigen mehr Zeit und müssen diese teilweise am Nachmittag aufbringen. In der folgenden Woche bespreche ich mit jedem Kind den Plan, in dem von ihnen durch ein Farbsystem kenntlich gemacht sein muss, wie sie das Aufgabenniveau empfunden haben. Aufgaben, die als schwer empfunden wurden, werden dann individuell im Gespräch mit mir oder in Kleingruppen noch einmal bearbeitet. 

Lernende, die den Plan früher beenden, dürfen entweder als Hilfe für die Lerngruppe tätig werden, für ein anderes Fach lernen oder bereits das nächste Themengebiet bearbeiten. So werden Sie nicht aufgehalten, können vertieft lernen, indem sie andere unterstützen, oder haben die Möglichkeit, die gewonnene Zeit für Fächer aufzuwenden, in denen sie diese benötigen. 

  • © Realschule Großostheim

    Als zusätzlichen motivationalen Faktor habe ich ein Stickersystem eingeführt, nach dem sich Heranwachsende Lernorte außerhalb des Klassenzimmers suchen können, wenn sie konzentriert und zielgerichtet arbeiten können. Es stehen Sitzkissen bereit, die jederzeit verwendet werden können, um beispielsweise am Boden sitzend auf dem Flur arbeiten zu können. Hier ist ein hohes Maß an Vertrauen und Eigenverantwortlichkeit vorausgesetzt, was aber nach meiner Erfahrung die Beziehungsebene zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften stärkt. 

© Realschule Großostheim

Wie schult man Eigenverantwortung und die gezielte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten?

Zunächst muss die Lehrkraft die Erwartungen, die sie an die Lerngruppe im Hinblick auf das selbstgesteuerte Lernen hat, erklären und über deren eigene Verantwortung und Rolle informieren. Darauf baut die Übertragung der Verantwortung im Hinblick auf die Rolle auf. Hier müssen Freiräume eingeräumt und Vertrauen in einem vorgegebenen Rahmen ausgesprochen werden. Feedback und regelmäßige Gespräche über den Lernstand und den Lernprozess sollen regelmäßig und engmaschig stattfinden, um unterstützend tätig sein zu können, selbst die Kontrolle zu behalten und rechtzeitig eingreifen zu können, und Selbstreflexion zu ermöglichen. Das Schaffen von Anreizen durch etwa weitere Freiräume wirkt motivierend. 

 

Was sind für Sie wichtige Faktoren zum Gelingen?

Als Lehrkraft steht man zunächst in der Verantwortung, klare Lernziele zu haben, nach denen das Material für die Lerngruppe entwickelt wird. Dieses muss den Heranwachsenden so zur Verfügung gestellt werden, dass sie jederzeit darauf zugreifen können. Das bedeutet auch, dass eine technische Infrastruktur bestehen muss, mit der das möglich ist. Der Austausch mit der Lehrkraft bezüglich des eigenen Lernprozesses ist für Heranwachsende von großer Bedeutung. Hier muss auf beiden Seiten stets die Möglichkeit bestehen, zu sehen, wo Probleme vorliegen und wie diese behoben werden können. Das Feedback der Lehrkraft ist nicht nur von enormer Bedeutung, wenn es darum geht, die Heranwachsenden zu fördern, anzuleiten und die Selbstständigkeit zu fördern, auch bei der Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion von Schülerinnen und Schülern hat die Rückmeldung der Lehrkräfte eine wichtige Funktion.

Lernende sollten in der Lage sein, ihre Lernprozesse zu reflektieren und die Lernfortschritte selbst zu bewerten, um anschließend handlungsfähig zu sein, äußere Umstände zu verändern und zu verbessern. Hierauf muss die  Lehrkraft vor allem zu Beginn ihr Augenmerk setzen. 

  

Wie verändert sich die Rolle der Lehrkraft? Manchmal wird die Angst formuliert, dass der „Lehrer zu ersetzen“ sei. Wie sehen Sie das?

  • © Realschule Großostheim

    Dass eine Lehrkraft nicht einfach ersetzt werden kann, haben wir während der Pandemie und der damit einhergehenden Schulschließungen gesehen. Da Menschen soziale Wesen sind, ist die persönliche Beziehung, die zwischen der Lehrkraft und den Schülerinnen und Schülern ent- und besteht, auch im Lehrprozess wichtig. Eine solche Angst ist meiner Meinung nach daher unbegründet. Allerdings findet eine Veränderung statt, wenn das selbstgesteuerte Lernen in den Fokus des eigenen Unterrichtens rückt. Der traditionell eventuell als autoritär betrachteten Lehrperson wird eine Unterstützungsfunktion zuteil, die Rahmenbedingungen schafft, Lernziele festlegt, Selbstreflexion fördert, bei Problemen hilft und Kollaboration unterstützt und somit die Lernende permanent in ihrem Lernprozess begleitet.

Dies kann sich positiv auf die Beziehungsebene auswirken, da Lehrkräfte und Lernende sich verstärkt auf Augenhöhe begegnen können, einen stärkeren Austausch haben und unter Umständen in den Vordergrund rückt, dass beide Gruppen das gleiche Ziel verfolgen. 

 

Hat dies Konsequenzen auf Klassenzimmer- oder Stundenplangestaltung?

Ideal wäre es, wenn Kinder eine Lernumgebung vorfinden könnten, in der sie sich frei nach ihren Bedürfnissen bewegen und arbeiten können. Gerade jüngere Kinder arbeiten gerne bodennah, müssen aber meistens 90 Minuten still an einem Tisch sitzen. Dies fällt vielen schwer, was sich beispielsweise im Kippeln äußert. Schön wäre es, wenn dem Bewegungsdrang in einem gewissen Maß nachgegangen werden können. Das wäre auch im Hinblick auf Prozesse im Gehirn von Vorteil, die insbesondere die Merkfähigkeit betreffen. Zudem sollte es immer die Möglichkeit für Kollaboration, Austausch, Projekte und Lernen in Kleingruppen geben. Das Mobiliar kann hier eine wichtige Rolle spielen. Lernlandschaften mit höhenverstellbaren Tischen, gemütlichen Sitzecken, die abgrenzbar sind und Räumlichkeiten, in denen ruhig und konzentriert gearbeitet werden kann, wären ein Gewinn. 

Das Doppelstundenprinzip böte sich dahin gehend an, dass Kinder, die sich mit einem Themengebiet beschäftigen, nicht alle 45 Minuten aus ihren Gedanken geholt werden, um sich auf ein anderes Fach einstellen zu müssen. Konzentriertes Arbeiten und die Ausdauer dabei könnten hiermit gefördert werden. Zudem wäre es denkbar, den Kindern innerhalb dieser Zeit die Möglichkeit zu geben, sich Auszeiten zu nehmen, wenn diese nötig sind. 

© Realschule Großostheim

 

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