Rechtliche Fragestellungen
Welche Möglichkeiten bieten sich weiterführenden sowie beruflichen Schulen durch die Novellierung des Artikels 56 Abs. 5 in Hinblick auf die außerunterrichtliche Nutzung digitaler Endgeräte?
Das Thema der privaten Nutzung digitaler Endgeräte an Schulen und hier insbesondere die private Nutzung des Smartphones, wird kontrovers diskutiert. Die wissenschaftlich fundierte Studienlage dazu ist sehr dünn. Die außerunterrichtliche Nutzung digitaler Endgeräte und damit verbundene potenziell positive oder negative Auswirkungen sind bislang in der Forschung kaum aufgearbeitet worden.
Nichtsdestotrotz soll in dem vorliegenden Beitrag ein kurzer Überblick über die bisherige Studienlage zur privaten Handynutzung von Kindern und Jugendlichen an Schulen gegeben werden.
Digitale Medien und insbesondere das Handy sind mittlerweile Teil der Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen. Laut JIM-Studie (2021) stellt das Smartphone heutzutage das am häufigsten genutzte Zugangsgerät zum Internet dar.
Betrachtet man die tägliche Nutzung, so haben im Jahr 2021 die Smartphone- (92 %), Internet- (88 %) und Musiknutzung (70 %) den größten Stellenwert im Medienalltag der 12- bis 19-Jährigen. Darüber hinaus zeichnet sich der Trend ab, dass Heranwachsende immer früher in ihrem Lebensalltag mit Handys in Berührung kommen.
Die Bitkom-Studie (2019) zeigt: „Mehr als jedes zweite Kind zwischen 6 und 7 Jahren (54 %) nutzt zumindest ab und zu ein Smartphone, vor fünf Jahren war es erst jedes fünfte (20 %). Und ab dem Alter von 10 Jahren gehört das Smartphone einfach dazu. Drei von vier Kindern (75 %) haben in diesem Alter bereits ein eigenes Gerät.“
In diesem Licht lassen sich digitale Medien, wie bspw. digitale Spiele, aber vor allem soziale Netzwerke, als eine Art „Steinbruch“ bezeichnen, in dem die Heranwachsenden Vorbilder beobachten können. Kinder und Jugendliche bewegen sich in diesen sozialen Netzwerken, um Orientierung zu finden, Rollen und Verhaltensweisen zu erproben und somit schließlich ihre Entwicklungsaufgaben (erfolgreich) bewältigen zu können.
„Mediensozialisation bei Kindern und Jugendlichen umfasst alle Aspekte, bei denen die Medien für die psychosoziale Entwicklung der Heranwachsenden eine Rolle spielen.“
Das Smartphone ermöglicht seinen jungen Nutzerinnen und Nutzern eine gewisse Medienkonvergenz – dies bedeutet, dass vormals getrennte Medientechnologien und -inhalte auf einem Gerät integriert werden können. Durch Medienkonvergenz verschwimmen Grenzen, die vorher beispielsweise Informations- und Unterhaltungsmedien klar voneinander getrennt haben. Medienkonvergenz kann es demzufolge von außen Lehrkräften erschweren, sofort zu erkennen, mit welchen Inhalten sich Schülerinnen und Schüler gerade beschäftigen.
Prasse und Schaumburg (2019) unterschieden für die Internetnutzung folgende vier Nutzungsmotive:
Kommunikation,
Gaming,
Unterhaltung,
Informationsbeschaffung.
Unter den letzten Punkt fallen bspw. auch Recherchen für schulische Zwecke. Wie häufig und wie lange bzw. aus welchen Motiven Heranwachsende zu ihren Handys greifen, variiert je nach Studie und Alter der Befragten. Nachfolgend werden drei Studienexemplarisch zu Rate gezogen:
Die Bitkom-Studie von 2019 vergleicht die Nutzungsmotive von 6- bis 7-jährigen Kindern mit denen von Jugendlichen im Alter von 16 bis 18 Jahren.
Es fällt auf, dass in beiden Altersgruppen der unterhaltungsbezogene Faktor dominiert. 87 % der Kinder schauen Filme, Videos und Serien, unter den Jugendlichen sind es sogar 93 %. Allerdings nimmt mit steigendem Alter der Anteil derjenigen deutlich zu, die Medien für Schul- oder Ausbildungszwecke nutzen. So widmen sich 12 % der 6- bis 7-Jährigen im Internet Schul- oder Ausbildungszwecken, gegenüber 72 % der 16- bis 18-Jährigen.
Des Weiteren bejahen 30 % der 10- bis 18-Jährigen die Aussage, dass sie dank des Internets ihre Leistungen in Schule und Ausbildung verbessern konnten.
Ziel des Schulversuchs „Private Handynutzung an Schulen“ war es, Regelungen für die private Nutzung von Mobilfunktelefonen und sonstiger digitaler Speichermedien an Schulen zu erproben. An dem Schulversuch nahmen 135 weiterführende Schulen teil.
Der Schulversuch verdeutlicht, dass die Nutzungsdauer des Smartphones stark davon abhängt, ob es für schulische oder für private Zwecke verwendet wird. Im häuslichen Umfeld nutzen rund 60 % der Lernenden das Smartphone täglich zwischen einer und maximal 30 Minuten für schulische Zwecke. Für private Zwecken nutzen rund 60 % der Schülerinnen und Schüler das Smartphone mindestens 120 Minuten pro Tag und rund 20 % sogar für mehr als vier Stunden.
In der Schule liegen die Nutzungszeiten weit unter denen von zu Hause: Rund die Hälfte der Befragten gibt an, das Smartphone in der Schule überhaupt nicht für das Erledigen von Hausaufgaben oder zum Lernen zu nutzen, und weitere 30 % verwenden das Smartphone maximal zehn Minuten pro Tag für schulische Zwecke.
Die JIM-Studie ist eine repräsentative Mediennutzungsstudie, an der jedes Jahr rund 1.200 Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren teilnehmen.
Laut JIM-Studie 2017 nutzen 95 % der Befragten das Internet für die Schule, 63 % mindestens einmal pro Woche. Allerdings verwenden Kinder und Jugendliche digitale Medien insgesamt sehr viel seltener für schulische Zwecke als zu Unterhaltungszwecken.
Laut JIMplus 2020, die das Lernen von Heranwachsenden während der Corona-Pandemie und der ersten Schulschließung untersucht, zeichnet sich der Trend ab, beim Lernen mediale Unterstützung zu suchen. Die Schülerinnen und Schüler wenden sich beim Lernen – neben Peers und Eltern – auch verstärkt dem Internet zu. 45 % der Befragten konsultieren Tutorials im Internet. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Tendenz zukünftig entwickeln wird. Insgesamt lässt sich aktuell bilanzieren, dass Heranwachsende digitale Medien auch für das häusliche Vor- und Nachbereiten nutzen und mit diesen lernen.
Ein Blick in die Forschung zeigt, dass diese sich der außerunterrichtlichen Handynutzung in der Schule von Lernenden bislang nur am Rande annimmt und viel Raum für weitere Forschungsarbeiten bietet. Dennoch werden nachfolgend einige zentrale Befunde vorgestellt.
Eine britische Untersuchung hat 2015 die Auswirkungen der Handynutzung auf das Leistungsniveau von Schülerinnen und Schülern untersucht. Die Verfasser folgern, dass ein generelles Verbot von Mobilfunktelefonen ein kostensparender Weg sei, um Bildungsungleichheiten vorzubeugen. Allerdings war die Nutzung der Smartphones nicht in eine durchdachtes schulisches Regelungskonzept eingebettet. Die Autoren räumen sogar ein, dass die Geräte nützliche Tools für den Lernprozess darstellen können, wenn eine geregelte Nutzung vorliegt.
Die Verfasser äußern die Vermutung, dass leistungsschwächere Lernende durch die Verfügbarkeit von Mobiltelefonen stärker abgelenkt seien, was wiederum Auswirkungen auf die Schulleistung habe. Die Forschergruppe kommt zu dem Ergebnis, dass ein generelles Handyverbot ohne flankierendes medienerzieherisches Begleitkonzept (!) im Unterricht sowie auf dem Pausenhof den Schulerfolg von leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler positiv beeinflusse. Für leistungsstarke Lernende zeige sich dieser Effekt nicht.
Im bayerischen Schulversuch „Private Handynutzung an Schulenwurden Schülerinnen und Schüler befragt, wie sie Chancen und Risiken der privaten Handynutzung an Schulen einschätzen. Insgesamt sehen sie mehr Chancen als Risiken. Chancen sehen Schülerinnen und Schüler vor allem was das Eröffnen vielseitiger Lernmöglichkeiten betrifft.
Uneins sind sich die Schülerinnen und Schüle darüber, inwiefern Mediennutzung sich negativ auf die Aufmerksamkeit und die Konzentration auswirken kann. Eher gering schätzen sie die Risiken für die körperliche und psychische Gesundheit ein, genauso wenig sehen sie negative Auswirkungen auf ihre Schulleistungen und ihr Sozialverhalten.
Die BLIKK-Medien-Studie (2017) eruiert korrelative Zusammenhänge zwischen dem Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen und etwaigen gesundheitlichen sowie psychischen Negativfolgen. Die Studie schließt mit der Empfehlung, digitale Medien in die analoge Lebenswelt zu integrieren und diese eben nicht aus dem Alltag der Heranwachsenden zu verbannen. Laut der Autoren ist der Schlüssel dazu der Erwerb von Medienkompetenz, der durch pädagogische Institutionen sowie durch das Elternhaus vermittelt werden solle. Im Kern streben die Forscher eine „On-Off-Kompetenz“ der Kinder und Jugendlichen im Umgang mit digitalen Medien an. Dementsprechend lässt sich folgern, dass ähnlich der britischen Studie eine völlig ungeregelte Nutzung digitaler Endgeräte in der Schule wie auch zu Hause pädagogisch nicht vertretbar ist.
Die BLIKK-Studie analysiert, dass eine Nutzungsdauer elektronischer Medien von mehr als 30 Minuten pro Tag bei Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren mit Entwicklungsstörungen (Konzentration, Sprache, Hyperaktivität) einhergehen könne und im Jugendalter mit Konzentrationsstörungen. Da es sich bei diesen Befunden lediglich um korrelative Zusammenhänge handelt, bleibt die Frage unbeantwortet, ob die Nutzungsdauer ursächlich für Konzentrationsstörungen und Sprachentwicklungsstörungen im Kindesalter ist oder ob vielmehr Kinder bspw. wegen sprachlicher Probleme zu einer ausgedehnteren Nutzung elektronischer Medien tendieren. Auch deshalb formulieren die Forscher hinsichtlich der weiteren Verwertung der Ergebnisse u. a. die Forderung, „zu prüfen, inwieweit schulische Leistungsstörungen im Zusammenhang mit einer nicht kontrollierten Nutzung elektronischer Medien stehen können“.
Manfred Spitzer fasst in seinem Werk „Die Smartphone-Epidemie“ Negativfolgen der exzessiven Handynutzung für Kinder und Jugendlich zusammen. Er warnt vor körperlichen oder geistigen Einschränkungen, wie bspw. Kurzsichtigkeit, minimierter kognitiver Leistungsfähigkeit oder gar der Suchtgefährdung durch das Smartphone.
Spitzer belegt seine Thesen mit wissenschaftlich fundierten Quellen. Dies erfolgt allerdings nur einseitig, da – wie oben aufgeführt – die Autoren der britischen Studie selbst einräumen, dass ein Handyverbot der kostensparende Weg sei und kein pädagogisches Einbetten der Mediennutzung in ein Gesamtkonzept stattgefunden habe. Spitzer hingegen lässt diese beiden Aspekte unerwähnt. Die Förderung des kritischen Umgangs mit dem Smartphone, sprich das Entwickeln von Medienkompetenz, sieht Spitzer erst im Jugendalter als zielführend. Dies lässt sich als seltener, medienerzieherischer Hinweis verstehen. Denn insgesamt vermisst man als Lehrkraft konstruktive Lösungsvorschläge für eine Anschlussdiskussion, die in pädagogische Konzepte münden kann.
„Medien bieten aber auch vielfältige Ressourcen für eine gelingende Sozialisation.“
Da der Begriff „Medienkompetenz“ kein eindeutiger ist und definitorisch einen gewissen Spielraum zulässt, soll nun exemplarisch das Medienkompetenz-Modell nach Norbert Groeben vorgestellt werden. Im Vergleich zu anderen Medienkompetenz-Modellen enthält es die Genussfähigkeit als Teilkompetenz und ist zu weiteren Diskussionen anschlussfähig.
Groeben entwickelt sieben prozessuale Teilkomponenten von Medienkompetenz:
Medienwissen meint die Kenntnisse über Medieninhalte, -strukturen, -wirkungen, die für eine kompetente Nutzung notwendig sind. Medialitätsbewusstsein bezeichnet das bewusste Unterscheiden zwischen Alltagsrealität und medialer (Wirklichkeits-) Konstruktion.
Medienspezifische Rezeptionsmuster umfassen die technologisch-instrumentellen Fertigkeiten.
Medienbezogene Genussfähigkeit ist in der Forschung wenig aufgearbeitet und erst mit der Akzeptanz von Identifikations- und Unterhaltungsbedürfnissen wissenschaftlich aufgenommen worden.
Medienbezogene Kritikfähigkeit bildet sich in Bezug auf die inhaltliche und formale Seite von Medienprodukten aus.
Selektionsfähigkeit bzw. Kombination von Mediennutzung erfolgt je nach Gewichtungen von Informations- und Unterhaltungsbedürfnis.
Mit (produktive) Partizipationsmuster ist eine aktive Rezeption von Medien genauso wie eine Produktorientierung gemeint.
Gesellschaftliche Anschlusskommunikationen über die Mediennutzung runden das Modell ab.
Gerade das Anerkennen der medienbezogenen Genussfähigkeitwertet die unterhaltungsbezogene Nutzung von Medien auf. Darüber hinaus beinhaltet sie einen affektiven oder motivationalen Faktor, der für Heranwachsende bei der Nutzung digitaler Endgeräte im privaten und im schulischen Bereich von hoher Relevanz ist.
Bei Erwachsenen und Lehrkräften kann hierdurch ein Verständnis für die mediale Genussfähigkeit von Kindern und Jugendlichen entstehen, wobei zwischen Genussfähigkeit, Genuss und genussinduzierter Suchtpotenziale eine Grenze besteht, die aktiv zu ziehen ist und Wachsamkeit erfordert. Die Dimension der Anschlusskommunikation unterstreicht in Groebens Modell, dass Medienkompetenz ein dynamischer Begriff bleibt, der im lebenslangen Lernen und je nach dem weiteren Verlauf der digitalen Entwicklung offen bleibt.
Der Kompetenzrahmen zur Medienbedienbildung an bayerischen Schulen weist in einigen seiner fünf Teilkompetenzen weitreichende inhaltliche Überlappungen mit den zuvor beschriebenen prozessualen Teilkompetenzen auf und ist damit anschlussfähig an das Medienkompetenz-Modell von Norbert Groeben.
Die Digitalisierung unserer Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Smartphones bestimmen heute maßgeblich den Alltag von Kindern und Jugendlichen und sind aus deren Mediensozialisation nicht mehr wegzudenken.
Vor allem die außerunterrichtliche Nutzung von Smartphones kann Risiken bergen wie bspw. sinkendes Leistungsniveau oder Konzentrationsschwierigkeiten. In den hier angesprochenen Forschungsarbeiten ist der komplexe Zusammenhang zwischen der Mediennutzung und etwaigen Risiken allerdings immer ohne den Einfluss eines pädagogisch fundierten Begleitkonzepts zur Förderung von Medienkompetenz untersucht worden.
Gerade in einem fundierten Begleitkonzept liegt der Schlüssel, um für die Lernenden die Risiken einer privaten Handynutzung zu minimieren und die bestehenden Chancen für einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien zu nutzen.
Bitkom e.V. (2017). Zukunft der Consumer Technology – 2017 (Bitkom-Studie). Zugriff am 25.04.2022. Verfügbar unter: https://www.bitkom.org/sites/main/files/file/import/170901-CT-Studie-online.pdf
Groeben, N. (2004). Medienkompetenz. In: Mangold, R. (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychologie. Göttingen [u.a.].
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2017-2021). JIM-Studien. Zugriff am 06.02.2022. Verfügbar unter: https://www.mpfs.de/studien/
Prasse, D.; Schaumburg, H. (2019). Medien und Schule. Theorie – Forschung – Praxis. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag.
Spitzer, M. (2018). Die Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.
Süss, Daniel; Lampert, Claudia; Trültzsch-Wijnen, Christine W. (2018). Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung. 3. Aufl. Wiesbaden: Springer VS (Studienbücher zur Kommunikations- und Medienwissenschaft).
Welche Möglichkeiten bieten sich weiterführenden sowie beruflichen Schulen durch die Novellierung des Artikels 56 Abs. 5 in Hinblick auf die außerunterrichtliche Nutzung digitaler Endgeräte?
Der Beitrag gibt Orientierung zur Frage, ob an der Schule Regelungen für die private Nutzung von Smartphones und anderer digitaler Endgeräte eingeführt werden soll.
Beispiele konkreter Regelungen verschiedener Schularten
Einführung in das Thema und Überblick
Zur aktuellen Studienlage der privaten Nutzung des Smartphones durch Kinder und Jugendliche im schulischen Kontext.
teachSHARE-Kurs zur reflektierten und verantwortungsbewussten Handynutzung innerhalb der schulischen und gesetzlichen Regeln.