Wirksame Umsetzung kooperativen Lernens
Was sind die Voraussetzungen Kooperativen Lernens?
In der Literatur werden fünf zentrale Basiselemente beschrieben, die als definierende und qualitätsbestimmende Merkmale des Konzepts des kooperativen Lernens gelten (Slavin 1995 und Johnson & Johnson 1994):
Schülerinnen und Schüler sollen beim kooperativen Lernen ihre eigenen Ziele nur dann erreichen können, wenn ihre Gruppenmitglieder ebenfalls ihre Ziele erreichen. Unter den Gruppenmitgliedern besteht eine positive Zielstruktur, die sie zur Kooperation motiviert.
Umsetzungsbeispiel:
Es wird eine Gruppenbelohnung für die Gruppe mit dem höchsten Lernzuwachs aller Gruppenmitglieder vergeben
Lernende übernehmen unterschiedliche Rollen oder Expertenthemen. Jede Teilaufgabe ist wichtig für die gemeinsame Problemlösung, sodass Kooperation notwendig wird.
Jedes Gruppenmitglied trägt durch die Übernahme von Teilaufgaben eine individuelle Verantwortung und muss einen Beitrag zum Gruppenergebnis leisten. Dieser individuelle Beitrag soll dabei für alle anderen deutlich erkennbar sein.
Umsetzungsbeispiel:
Gruppenrallye (Slavin, 1995):
individuelle Lernzuwächse werden anhand von Leistungsüberprüfungen erfasst
die Summe der Lernzuwächse in der Gruppe sind ausschlaggebend für die Gruppenbelohnung
Gruppenpuzzle (Aronson et al., 1978): jedes Gruppenmitglied hat die Verantwortung für ein anderes Expertenthema, bereitet dieses auf und instruiert die anderen Gruppenmitglieder darin.
Unterstützende Interaktion bedeutet, dass sich die Gruppenmitglieder gegenseitig vertrauen und einander helfen.
Umsetzungsbeispiel:
o Austausch von Informationen oder Materialien
o Gemeinsames Engagement für Arbeitsprozess
o Gegenseitige Motivation für die Aufgabenbearbeitung
o Rückmeldung untereinander
o Eingehen auf Gesprächsbeiträge der anderen Gruppenmitglieder
o gegenseitiges Fragenstellen und Erklären
Die sozialen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler sind eine notwendige Voraussetzung für den Lernerfolg des Einzelnen sowie die Gruppenleistung. Besonders bedeutend sind die Fähigkeiten zur Perspektivenübernahme, zu prosozialem Verhalten, zur Konfliktlösung, Kontaktaufnahme und Einflussnahme in Gruppen (Jurkowski & Hänze, 2010).
Im Anschluss an den kooperativen Arbeitsprozess erfolgt eine Gruppenreflexion, die beim Reflektieren des Lernprozesses unterstützt.
Umsetzungsbeispiel:
Gruppenmitglieder überlegen gemeinsam (ggf. mit Unterstützung der Lehrperson), was für die Zusammenarbeit hilfreich oder hinderlich war.
Durchführung einer Gruppenentscheidung darüber, was sie für die nächste Zusammenarbeit beibehalten und was verändert werden soll. Die Gruppenreflexion trägt somit dazu bei, dass Gruppen ihre Kooperation weiterentwickeln und sie somit kontinuierlich effektiver zusammenarbeiten können.
· Positive gegenseitige Abhängigkeit in der Gruppe
· Individuelle Verantwortlichkeit
· Unterstützende Interaktion
· Kooperative Kompetenzen
· Reflexion von Zusammenarbeit und Arbeitsergebnissen
Zum einen, kann ohne diese Basiselemente kann streng genommen nicht von kooperativem Lernen, sondern lediglich von Gruppenarbeit als Sozialform gesprochen werden (Johnson & Johnson, 1989). Andererseits sind genau diese Elemente unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit der Schülerinnen und Schüler positive Auswirkungen auf ihre Lernprozesse hat (Veenman et al., 2002). Diese fundamentalen Bestandteile prägen das kooperative Lernen und sind entscheidend für dessen Effektivität. In der Praxis können sie mithilfe von Strukturhilfen wie Rollen, Regeln und Gesprächsleitfäden umgesetzt werden.
Dr. Benedikt Wisniewski widmet sich in seinem Podcast „Psychologie fürs Klassenzimmer” ausführlich der Studie zum Kooperativen Lernen von Slavin. Hier gibt es die vollständige Folge zum Nachhören.
Wie wichtig sind soziale Kompetenzen?
Das Konzept des Kooperativen Lernens geht von einem Mindestmaß an Sozialkompetenz aus - und entwickelt sie zu einem Höchstmaß weiter.
Kooperative Lernsituationen sind immer lernerzentriert. Es geht in erster Linie darum, dass die Schüler selbstständig und individuell arbeiten und sich in eine Lerngruppe einbringen, sodass eine Form des Gemeinschaftsgefühls entsteht. Die Schüler übernehmen demzufolge im kooperativen Unterricht eine andere Rolle als im herkömmlichen Unterricht.
Die Gestaltung kooperativen Lernens setzt daher voraus, dass bereits grundlegende soziale Kompetenzen vorhanden sind, die im Verlauf des gemeinschaftlichen Prozesses weiterentwickelt werden. Durch die Zusammenarbeit in diesem Rahmen haben die Schüler die Möglichkeit, ihre sozialen Fähigkeiten so zu erweitern, dass sie am Ende ihrer schulischen Laufbahn über ein umfassendes Spektrum an sozialen Kompetenzen verfügen (Johnson & Johnson, 1989). In der Literatur finden sich verschiedene Ansichten darüber, welche spezifischen Fähigkeiten zu den kooperativen Kompetenzen zählen. Daher wurden die häufigsten und relevantesten Fähigkeiten ausgewählt und aufgeführt:
Die Fähigkeit, klar zu sprechen und zuzuhören, ist entscheidend für den Austausch von Ideen in der Gruppe.
Die Fähigkeit, effektiv mit anderen zusammenzuarbeiten, gemeinsame Ziele zu erreichen und entsprechende Rollen zu übernehmen ist grundlegend für kooperatives Lernen.
Schülerinnen und Schüler sollten in der Lage sein, Probleme zu identifizieren, gemeinsam Lösungen zu finden und Kontroversen zu führen.
Jedes Gruppenmitglied sollte Verantwortung für seine Aufgaben übernehmen und zum Erfolg der Gruppe beitragen. Gegenseitige Unterstützung ist hierbei unabdingbar.
· Kommunikationsfähigkeit
· Schaffung einer Vertrauensbasis
· Führung einer Gruppe (Rollenübernahme)
· Fähigkeit Kontroversen zu führen
· Sich gegenseitig unterstützen
· Sich gegenseitig respektieren und einander wertzuschätzen (Toleranz)
Wie verändert sich die Rolle der Lehrkraft?
Diese Veränderung im Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden führt auch zu einer Neugestaltung der Rolle der Lehrkräfte. Es ist nicht nur notwendig, dass die Schüler ihr Verhalten und ihre Rolle im Unterricht neu überdenken; auch die Lehrenden müssen sich in eine neue Position im Unterrichtsgeschehen einfinden.
Norm Green beschreibt die neue Lehrerrolle in seinem Buch „Kooperativ Lernen im Klassenraum und im Kollegium – ein Trainingsbuch“ ausführlich und unterteilt die Aufgaben einer Lehrkraft in diesem Zusammenhang in drei Bereiche:
Kognitive und soziale Ziele planen
Zeitlichen Rahmen setzen
Methode wählen:
positive Abhängigkeit
individuelle Verantwortung
Kooperation zwischen den Gruppen gestalten
Gruppengröße bestimmen
Gruppen einteilen
Rollen verteilen
Umgebungsgestaltung: Arbeitsbedingungen gestalten
Arbeitsauftrag formulieren
Leitkriterien festlegen
Materialien vorbereiten
Themeneinstieg: Vorwissen aktivieren
Auftragsformulierung:
Aufgabe erklären
Kriterien für Erfolg festlegen
Erwartetes Verhalten beschreiben: Regeln formulieren
Kooperative Fähigkeiten unterrichten
Interaktion anregen
Verhalten beobachten
Hilfestellung geben
Lernen der Schüler beurteilen
Funktionieren der Gruppe auswerten
Abschluss finden: Ergebnis sichern
Folglich muss die Lehrkraft einen großen Teil an Vorarbeit leisten, um einen positiven Verlauf der geplanten kooperativen Lernphase sicherzustellen und des Weiteren während des Verlaufes der Unterrichtsstunde die Rolle des Beobachters, Beurteilers und Unterstützers einnehmen. Diese Einteilung lässt sich auch auf digitale Unterrichtsszenarien, die auf eine Zusammenarbeit abzielen, übertragen.
Wie wirksam sind die verschiedenen Methoden des Kooperativen Lernens?
Auf der Basis der oben genannten Prinzipien ist eine Reihe von Methoden des kooperativen Lernens entwickelt und empirisch geprüft worden. Beispiele dafür sind Gruppenrecherche, Gruppenralley, Gruppenpuzzle oder reziprokes Lernen. Die Wirksamkeit unterschiedlicher Formen des kooperativen Lernens ist mittlerweile sehr gut erforscht und … 214 Helmke: Empirische Befunde dazu
Als methodisch zentral wird dabei der Dreischritt: Denken-Austauschen-Vorstellen beschrieben (Brünig Saum 2007). Diese Schritte lassen sich in einen größeren Rahmen setzen, der zum einen den Lernenden in den Blick nimmt aber ergänzend dazu die Rolle der Lehrkraft.
Wird dieser Rahmen regelmäßig im Unterricht berücksichtigt, entwickeln Lehrende und Lernende Handlungsroutinen, eine bessere Orientierung und eine höhere Sicherheit im Lehr- und Lernprozess.